Essen. Armut, Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit: Wie viel Gegenwart im Fallada-Buch „Kleiner Mann, was nun?“ steckt, zeigt Thomas Ladwig im Schauspiel Essen.

Dieser Johannes Pinneberg kommt aus den 1930ern, aber er könnte auch eine Figur aus der Gegenwart sein. Einer, der mit dem Kampf ums finanzielle Überleben schon so beschäftigt ist, dass er sich um das große politische Ganze nicht auch noch kümmern kann. Das Geld ist knapp, der Arbeitsplatz bedroht und das kleine persönliche Glück am Ende der letzte rettende Anker im tosenden Abwärtsstrudel. Mit „Kleiner Mann – was nun?“ hat Hans Fallada Anfang der 1930er Jahre einen Schlüsselroman über die Lebensumstände der einfachen Menschen in der Weimarer Zeit geschrieben. Thomas Ladwig bringt den Welterfolg nun auf die Bühne des Grillo-Theaters.

Thomas Ladwig hat fürs Schauspiel Essen eine eigene Fassung geschrieben

Szenenbild aus „Kleiner Mann –  was nun?“ mit Stefan Migge, Silvia Weiskopf und Philipp Noack (im Hintergrund).  
Szenenbild aus „Kleiner Mann – was nun?“ mit Stefan Migge, Silvia Weiskopf und Philipp Noack (im Hintergrund).   © Birgit Hupfeld

Wer mag, kann in der Geschichte des kleinen Angestellten Pinneberg und seiner Frau Emma, genannt Lämmchen, vieles entdecken, was uns heute betrifft: Das Erstarken der extremen politischen Kräfte, die Angst vor Arbeitslosigkeit und wachsende Wohnungsnot, der drohende Abstieg der Mittelschicht in die Armut. Ladwig aber will in seiner Fassung, die er zusammen mit Dramaturgin Vera Ring geschrieben hat, keinen Pinneberg 2.0 erschaffen. „Wir stellen den Roman nicht auf den Kopf.“

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Dafür hat das Buch ohnehin schon zu viele Turbulenzen erlebt. Erst vor einigen Jahren wurde entdeckt, dass Falladas Roman schon kurz nach seiner Fertigstellung um fast ein Viertel gekürzt worden waren – aus politischer Folgsamkeit oder vielleicht auch als Konzession an den Volksgeschmack. Ganze Episoden aus dem wilden Berliner Nachtleben wurden damals getilgt, Sätze verkürzt, vor allem Anzügliches und Politisches herausgenommen. So wurde aus dem prügelnden SA-Mann Lauterbach in der Folge ein betrunkener Fußballspieler.

Fallada-Figuren zwischen Angst und ungebrochenem Optimismus

Infos zu Tickets und Terminen

Die Premiere von „Kleiner Mann – was nun?“ am Freitag, 28. Februar, ist bereits ausverkauft. Es spielen Lene Dax, Stefan Diekmann, Ines Krug, Stefan Migge, Philipp Noack, Jan Pröhl, Olga Prokot, Silvia Weiskopf und Jens Winterstein

Weitere Termine am 4., 14., 15., 20. März und am 2., 30. April; Eintritt: 14 bis 29 Euro

Die unredigierte, heute rund 100 Seiten stärkere Ausgabe, ist in Essen nun Grundlage einer Fassung, die nicht mit Macht modernisieren will, aber den Blick auf die Figuren neu ausrichtet. Vor allem Lämmchen soll als heimliche Heldin stärker in den Mittelpunkt rücken, sagt Ladwig. Die junge Hausfrau und Mutter hält daheim nicht nur die Moral hoch und bringt mit Strümpfestopfen das Geld nach Hause, sie verteidigt das kleine familiäre Idyll am Ende auch entschieden gegen alle Härten des Lebens. Für Ladwig erscheint diese unbedingte Liebe in Zeiten der Krise auch in einer heutigen „von Leistungs- und Optimierungsdenken geprägten Gesellschaft, die sich nur über Arbeit definiert“ gar nicht so gestrig. „Ich mag den Gedanken, mit einem Menschen durchs Leben zu gehen, der Rückhalt gibt.“ Und so will er Menschen mit Brüchen und Widersprüchen zeigen, die uns in ihrer leisen Lebensuntüchtigkeit, aber auch in ihrem Stolz, in ihrer Angst, aber auch in ihrem zupackenden und ungebrochenen Optimismus immer noch sehr nahe kommen sollen.

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Ladwig, der sich am Schauspiel Essen schon mit bemerkenswerten Roman-Adaptionen wie „Alles ist erleuchtet“ von Jonathan Safran Foer oder zuletzt mit Max Frischs „Biografie. Ein Spiel“ empfohlen hat, hat sich mit Falladas Weltbestseller auch diesmal keine leichte Aufgabe gestellt. Den Stoff allein auf eine spielbare Länge von etwa drei Stunden zu bringen, sei eine Herausforderung. Eine, die sich lohne: „Ich habe mich sofort in die Geschichte und die Figuren verliebt.“

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Es müssen keine bösen Nazis auf die Bühne gestellt werden

So begibt er sich mit seinen Darstellern auf eine ebenso herzergreifende wie lebensbittere Stationen-Reise – von der Kleinstadt ins große Berlin und später in die Laubensiedlung, wo die kleine Familie trotz finanzieller Not am Ende doch ihren Platz im Leben findet. Manches belässt der Regisseur in der Zeit, auch die Ausstattung nehme Anleihen an die frühen 1930er, ohne bloß zu zitieren, erklärt Ladwig, denn „dann wird’s museal“. Aber die Figuren von Gestern können auch Mahner eines heraufziehenden Morgen verstanden werden. Man müsse dafür keine bösen Nazis auf die Bühne stellen, das sei langweilig, findet Ladwig. Doch Falladas Roman, kurz vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten veröffentlicht, steht eben auch heute wie ein Menetekel für das, was passieren kann, wenn rechtes Denken salonfähig wird.

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