Essen. Essener Museum Folkwang zeigt wichtige Vertreterin der Avantgarde-Fotografie. Schaffenszeit von Aenne Biermann dauerte nur sieben Jahre.
Aenne Biermann hat mit der Kamera das Außergewöhnliche im Alltäglichen entdeckt. In nur sieben Jahren avancierte die jüdische Fabrikantentochter aus Goch mit ihren Aufnahmen von Pflanzen, Gesteinen, Stillleben und den eigenen Kindern zu einer der wichtigsten Protagonistinnen der modernen Fotografie um 1930. Ihr früher Tod 1933 mit nur 34 Jahren und die erzwungene Emigration der Familie hat der Entdeckung dieser Ausnahme-Fotografin ein jähes Ende gesetzt. Ehemann Herbert Biermann, ein jüdischer Kaufmann aus Gera, konnte nur einen Teil des Nachlasses nach Palästina retten, ein Großteil des Werks gilt bis heute als verschollen.
Das Essener Museum Folkwang hat Aenne Biermann schon 1987 präsentiert
Von den wenigen hundert Aufnahmen, die an deutschen Museen geblieben sind, besitzen das Museum Folkwang und die Pinakothek der Moderne/Bayerische Staatsgemäldesammlungen einen Großteil. Ihre gemeinsame Ausstellung „Aenne Biermann. Vertrautheit mit den Dingen“ ist auch die Wiederentdeckung einer Wiederentdeckung. 1987 leistete die damalige Folkwang-Fotoexpertin Ute Eskildsen nach umfangreichen Recherchen einen wichtigen Beitrag zur Neubetrachtung dieser Autodidaktin und bedeutenden Vertreterin der Avantgarde-Fotografie.
Spannender Kontrast von Vertrautheit und Verfremdung
Zu sehen sind in Essen 100 Arbeiten einer Frau, die beides kann: staunen und dokumentieren. Immer wieder gelingt der zweifachen Mutter die spannende Kontrastierung und Verschränkung von Vertrautheit und Verfremdung, Nähe und Distanz, Gewöhnlichem und Erhabenem. Was sie in ihrer Umgebung sieht, fotografiert sie mit klarem, aber nicht mit kühlem Blick. Die „Vertrautheit mit den Dingen“, wie es schon der Ausstellungs-Titel beziehungsreich formuliert, sorgt hinter der Kamera für eine einfühlsame Auseinandersetzung mit den Gegenständen des häuslichen Alltags. Da präsentieren sich die Blätter eines Gummibaums wie mit Bronze beträufelte Kostbarkeiten, verwandeln sich ein paar Eier im Netz zu einem ebenso wundersamen wie hochpräzise komponierten Geflecht aus Licht und Schatten, entfalten die fleischigen Viertel einer geschälten Orange einen malerischen und sinnlichen Reiz.
Biermanns Blick für die künstlerische Dimension im kargen Dokumentarischen mag damals auch durch Magazine, Bücher und einen durch die eigenen Ausstellungstätigkeiten gestärkten ästhetischen Austausch mit anderen Künstlern wie László Moholy-Nagy oder Karl Blossfeldt angeregt sein. Im Wesentlichen verlässt sich diese Fotografin, deren burschikoser Kurzhaarschnitt in der besseren Gesellschaft von Gera damals ebenso unorthodox gewirkt haben mag wie ihr unbändiger Arbeitsdrang, aber auf ihre Intuition. Ihre unprätentiösen, detailgenauen Arbeiten sind zunächst ganz auf das häusliche Umfeld gerichtet, verwandeln das Schälmesser mit Kartoffelschalenspirale zu einer aufregenden Komposition aus Rhythmus und Licht. Zu den sachlich-magischen Studien heimischen Interieurs gesellen sich bald auch Porträt-Reihen, Frauenakte, Reisebilder aus Paris und fotografische Experimente wie Mehrfachbelichtungen.
Das alltägliche Leben als künstlerische Inspiration
Informationen zur Ausstellung
Die Ausstellung „Aenne Biermann. Vertrautheit mit den Dingen“ ist bis zum 1. Juni im Museum Folkwang, Museumsplatz, zu sehen. Öffnungszeiten: Di, Mi, Sa, So 10-18 Uhr, Do/Fr 10 bis 20 Uhr.
Eintritt 5/erm. 3,50 Euro. Die Monografie zur Ausstellung haben die Kuratoren Thomas Seelig und Simone Förster im Verlag Scheidegger &Spiess herausgegeben (38 Euro).
In Essen erlebt man Aenne Biermann als eine autarke Frau mit einem autarken Werk, deren kurze, aber intensive Schaffensphase von der stimulierenden Präsenz des täglichen Lebens gekennzeichnet ist. Und so hat sie trotz internationaler Anerkennung und der Beteiligung an renommierten Ausstellungsprojekten auch immer wieder an Amateurwettbewerben teilgenommen. Die Nähe zu den Dingen bedeutete Aenne Biermann eben auch Bodenständigkeit.
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