Essen. Leben viele Muslime in Essen und anderen deutschen Städten in ihrer eigenen, parallelen Gesellschaft? Oder ist das eine übertriebene Sicht?
In Straßen, wo sich Geschäfte mit ausländischen Namen aneinanderreihen, sich der Alltag problemlos ohne Deutschkenntnisse bewältigen lässt und augenscheinlich fast nur Migranten leben, manifestiert sich der Eindruck einer Gesellschaft in der Gesellschaft. Mit großem Unbehagen blicken viele Menschen auf diese so genannten Parallelgesellschaften. Nicht zuletzt deshalb, weil im Zusammenhang mit muslimisch geprägten Migranten-Communities immer wieder auch die Rede von Zwangsehen, Friedensrichtern oder Ehrenmorden ist.
Ein düsteres Bild, das zweifelsfrei allenfalls nur ein kleiner Ausschnitt aus dem gesellschaftlichen Treiben in Stadtteilen wie Katernberg oder Marxloh ist, und doch immer die Frage aufwirft, wie kompatibel diese Lebensweise mit der der deutschen Mehrheitsgesellschaft ist. Eine Frage, der sich demnächst auch der Deutschlandfunk unter der Überschrift „Wie wir Parallelgesellschaften vermeiden“ annimmt.
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„Kein Kinderkram. Wie muslimische Familien mit den Traditionen kämpfen“, so lautet der Titel der Radiosendung Lesart von Deutschlandfunk Kultur, die am Dienstag, 4. Februar ab 20 Uhr im Café Central des Essener Grillo-Theaters aufgezeichnet wird. Als Gäste erwartet Moderator Christian Rabhansl die Autoren Necla Kelek und Ahmet Toprak, von denen im Oktober zwei spannende Sachbücher erschienen sind, sowie WAZ-Kulturchef Jens Dirksen.
Ahmet Toprak: Es gibt keine Parallelgesellschaften
„Dabei“, gesteht Ahmet Toprak im Gespräch mit dieser Redaktion, sieht er in Essen und auch in anderen deutschen Städten „gar keine Parallelgesellschaften“. Denn eine solche Parallelgesellschaft brauche nach seiner Lesart auch parallele Strukturen wie eine eigene Polizei und Justiz, so der Autor des Buches „Muslimisch, männlich, desintegriert“.
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Dass libanesische Clans in Essen deutsche Strafverfolgungsbehörden nicht respektieren und allein das Wort ihrer eigenen „Friedensrichter“ achten, räumt auch Erziehungswissenschaftler Toprak ein. Aber: „Es sind letztendlich zu wenig Migranten, die dieser Subkultur angehören, als dass man von einer Parallelgesellschaft reden kann“, so Toprak, der in diesem Zusammenhang auch auf die „eigenen Gesetze von Rockerbanden oder der Mafia“ verweist. „Da reden wir ja auch nicht von Parallelgesellschaften.“
„Natürlich gibt es Stadtteile oder Straßenzüge, in denen Migranten mehr oder weniger nur unter sich leben, aber das heißt nicht, dass sie sich von der Gesellschaft abgekoppelt haben“, betont Toprak und stellt „bewusst provokant“ die Frage: „Was ist daran eigentlich schlimm?“
„Migranten einfach in ihren Strukturen in Ruhe lassen“
So lange der soziale Frieden gewahrt ist, so lange aus diesen Milieus keine Kriminalität oder Gewalt ausgeht, so lange könne man diese Menschen doch einfach in Ruhe in ihren Strukturen leben lassen, sagt Toprak. Als ehemaliger Anti-Gewalt-Trainer weiß er aber auch aus eigener Erfahrung, dass ein friedliches Nebeneinandern – wenn schon nicht miteinander – nur gelingen kann, wenn „Eltern gerade aus dem muslimischen Migrantenmilieu ihren Kindern unsere freiheitlichen Werte beibringen.“