Essen. Die Zahl der Blutspender sinkt. Das liegt am demografischen Wandel, sagen Uniklinik und Deutsches Rotes Kreuz Essen. Sie werben um junge Spender.

Der Dezember ist die hohe Zeit des Spendens und Schenkens, doch Blutspender machen sich rar. „Zwischen den Jahren ist wie der Sommer eine maue Zeit“, sagt Dr. Christian Temme vom Institut für Transfusionsmedizin der Uniklinik Essen. Eine Vorratshaltung ist jedoch nicht für alle Blutprodukte möglich, die Winterferien sind daher eine logistische Herausforderung.

Während nämlich die klassische Blutkonserve heutzutage sechs Wochen lang gelagert werden kann, darf ein Thrombozyten-Konzentrat nur wenige Tage lang verwendet werden. Um für die Feiertage gewappnet zu sein, hatte das Uniklinikum einige treue Blutspender sogar an Heiligabend zum Thrombozyten-Spenden eingeladen.

„Die geburtenstarken Jahrgänge brauchen vielleicht bald selbst Spenderblut“

Der Blutbedarf des Hauses ist ganzjährig hoch: „Wir sind ein Maximalversorger und haben einige medizinische Bereiche, die viel Blut brauchen“, sagt Temme. Jährlich rund 28.000 Blutkonserven benötige die Uniklinik, die damit auch das St. Josef-Krankenhaus in Werden und die Ruhrlandklinik versorgt. Das eigene Blutspendezentrum deckt nicht mal ein Drittel davon, und das könnte sich in den kommenden Jahren verschärfen. Ein neues Forschungsprojekt soll daher nun helfen, den Umgang mit Blutprodukten zu optimieren. (siehe Text unten)

Forschungsprojekt: Versorgung mit Blutprodukten optimieren

Mit Blick auf die sinkende Spenden-Bereitschaft und die demografische Entwicklung ist künftig mit einem zunehmenden Mangel an Spenderblut zu rechnen: Es drohen Lücken in der Versorgung. Mit einem neuen Forschungsprojekt will die Universitätsmedizin Essen daher Einsatz und Nutzung von Blutprodukten verbessern. Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) soll der individuelle Transfusionsbedarf mit größerer Präzision vorhergesagt werden. Damit erhöhe sich zum einen die Patientensicherheit, zum anderen lasse sich die Lagerhaltung optimieren.

Dank der KI-Verfahren solle der klinikweite Bedarf an Blutprodukten genauer prognostiziert werden können: So lasse sich das Logistik-Management verbessern und die Verfallsrate von Blutprodukten senken. Kombinieren möchte man den neuen Ansatz mit einer Smartphone-App, die für die gezielte Mobilisierung von Blutspendern eingesetzt werden soll.

Das Forschungsprojekt mit dem Bandwurmnamen „Automatisierte leitlinienkonforme Patientenindividuelle Blutprodukte-Zuordnung und smartes Logistikmanagement in der Transfusionsmedizin“ – kurz „AutoPiLoT“ – ist bis September 2022 bewilligt und erhält vom Bundesgesundheitsministerium Fördermittel in Höhe von 1,8 Millionen Euro.

An dem Projekt arbeiten Prof. Dr. Peter Horn, Direktor des Instituts für Transfusionsmedizin der Universitätsmedizin Essen, sowie Prof. Dr. Britta Böckmann, Medizinische Informatik der FH Dortmund. Dritter Projektpartner ist Privatdozent Dr. Felix Nensa vom neuen Institut für Künstliche Intelligenz in der Medizin an der Uniklinik Essen, das im Frühjahr 2020 an den Start geht.

„Mit Hilfe innovativer Technologien und smarter Datennutzung wollen wir in unserem gemeinsamen Projekt die Versorgung unserer Patienten mit Blutprodukten weiter optimieren“, sagt Prof. Horn. Das neue Blut-Management solle dann am Uniklinikum Essen – und damit exemplarisch an einem Krankenhaus der Maximalversorgung – implementiert werden.

Denkt sich besondere Aktionen aus, um Blutspender zu gewinnen und zu halten: Dr. Christian Temme vom Institut für Transfusionsmedizin der Uniklinik Essen.
Denkt sich besondere Aktionen aus, um Blutspender zu gewinnen und zu halten: Dr. Christian Temme vom Institut für Transfusionsmedizin der Uniklinik Essen. © Uniklinikum | Jan Ladwig

„Die geburtenstarken Jahrgänge kommen allmählich in ein Alter, wo sie eher selbst Spenderblut benötigen“, sagt Temme. Damit gehe eine Spender-Generation verloren, die häufig während der Bundeswehrzeit mit dem Blutspenden angefangen und dies bis ins Rentenalter beibehalten habe. Ähnlich verlässliche jüngere Spender rücken nicht in ausreichender Zahl nach.

Wer sechsmal Blut spendet, bekommt ein T-Shirt vom Open Air in Wacken

Dabei sei das Uniklinikum dank seiner großen medizinischen Fakultät noch in einer komfortablen Lage. Medizinstudenten sind naturgemäß leicht für die Blutspende zu gewinnen. „Doch viele ziehen nach dem Studium weg und gehen uns verloren.“ Berufsbedingte Mobilität, Schwangerschaften, der Spagat zwischen Job und Familie sorgten dafür, dass gerade die 30- bis 40-Jährigen schwer zu binden seien.

Um Blutspender zu gewinnen und zu halten, arbeitet das Institut für Transfusionsmedizin daher mit besonderen Aktionen: Mal lädt man zum Rudelsingen im Operativen Zentrum, mal bekommt man zur Aufwandsentschädigung von 26 Euro noch eine frische Waffel. Nach der sechsten Vollblutspende gibt es als Dankeschön ein T-Shirt vom Wacken Open Air: „Das kommt gut an“, betont Temme, offenbar nicht nur bei Heavy-Metal-Fans.

Noch mussten keine Operationen wegen fehlender Blutkonserven verlegt werden

Zwar ist die Zahl der Blutspenden nicht mehr so hoch wie in früheren Zeiten, doch in den letzten Jahren liege man stabil bei etwa 8000 Blutkonserven im Jahr. Sprich: Rund 20.000 müssen zugekauft werden, und das ist jeweils teurer als die 26 Euro, die der Blutspender erhält. Aber während andernorts schon mal Operationen wegen fehlenden Bluts verlegt werden mussten, sei das am Uniklinikum noch nicht passiert: „Wir haben mit dem Deutschen Roten Kreuz einen sicheren Partner.“

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Das DRK orientiere sich am Bedarf der Kliniken, bestätigt Pressesprecher Stephan Küpper vom Blutspendedienst West, der auch für Essen zuständig ist. „Wenn wir dem mal um 20 Prozent hinterherhecheln, schlagen wir Alarm.“ Vorsorglich hatte das DRK schon Mitte Dezember aufgerufen, zwischen den Jahren Blut zu spenden; am zweiten Weihnachtstag wurden vielerorts Sondertermine angeboten.

FDP will auch homosexuelle Männer als Blutspender ohne besondere Auflagen zulassen

Traditionell kann sich das Rote Kreuz, das für die Blutspende keinen finanziellen Anreiz bietet, auf so überzeugte wie loyale Spender verlassen. Doch der demographische Wandel und das Ausscheiden der Babyboomer mache sich auch beim Blutspendedienst West handfest bemerkbar: „Neben den klassisch schwierigen Zeiten – Ostern, Sommerferien sowie Weihnachten – erleben wir nun ganzjährig immer mal wieder Einbrüche.“ Von Januar bis November 2019 hat das DRK Essen 13.500 Blutkonserven verzeichnet: Das sind 400 (oder drei Prozent) weniger als angestrebt.

Aktuell fordert die FDP, endlich auch homosexuelle Männer als Blutspender zuzulassen. Bis 2017 waren sie grundsätzlich von der Blutspende ausgeschlossen, seither werden sie zugelassen, wenn sie ein Jahr lang keinen Sex hatten. Die Liberalen finden das so diskriminierend wie lebensfremd. Man dürfe nicht ganzen Personengruppen pauschal unterstellen, dass sie ein erhöhtes Risiko hätten, sich mit HIV anzustecken. Entscheidend dürfe nicht die sexuelle Identität eines Blutspenders sein, „sondern das tatsächliche Risikoverhalten, zum Beispiel durch ungeschützten Sexualverkehr mit häufig wechselnden Partnern“.

In Essen gibt es drei Blutspendedienste

Aktuell werden in Deutschland pro Tag 15.000 Blutkonserven zu klinischen Zwecken benötigt. Frauen dürfen viermal im Jahr Blut spenden, Männer sechsmal. Wer bereits Spender sei, könne das bis zum Höchstalter von 76 Jahren bleiben, sagt das Deutsche Rote Kreuz (DRK). Und: Noch mit 68 Jahren könne man mit dem Blutspenden anfangen.

Neben der Uniklinik und dem Deutschen Roten Kreuz gibt es das Haema-Blutspendezentrum an der Kettwiger Straße. „Auch wir spüren die Auswirkungen des demografischen Wandels und bemerken, dass die Spendenbereitschaft leicht zurückgeht. Wir möchten die Bürgerinnen und Bürger herzlich auffordern, Blut und auch Plasma zu spenden; denn nur ca. fünf Prozent der Bevölkerung spenden regelmäßig“, sagt der kommerzielle Anbieter.

Auch Christian Temme von der Uniklinik sieht die jetzige Regelung skeptisch. Und er erinnert sich an einen Facebook-Kommentar, der etwa so lautete: „Toll, dass Ihr Waffel-Aktionen für Blutspender macht, aber als Schwuler darf ich ja nicht spenden.“ Womöglich könnte der Gesetzgeber das bald ändern.