Essen. Die Gewalt gegen Rettungssanitäter nimmt zu. Die Johanniter Unfall-Hilfe in Essen reagiert darauf mit speziellen Schulungen in Theorie und Praxis

Es ist eine erschreckende Dimension von Gewalt und Respektlosigkeit: Immer häufiger werden Rettungssanitäter tätlich angegriffen, wenn sie dabei sind Menschenleben zu retten. Auch die Einsatzkräfte der Johanniter Unfall-Hilfe in Essen werden im Alltag mit diesem Phänomen konfrontiert. Ihre Reaktion: In speziellen Schulungen machen die Johanniter ihre Rettungssanitäter jetzt fit für gefahrvolle Einsätze. Ein Angebot, das weit und breit einmalig sei.

Die beiden Kursleiter Peter Honecker und Christian Rihm haben ihre Aufgaben klar verteilt: Der eine übernimmt den theoretischen Teil, der andere den praktischen. Honecker, von Hause aus Kriminalhauptkommissar im Essener Präsidium ist ehrenamtlich für die Johanniter tätig, Rihm ist Kampfsportler und Inhaber einer Schule für Selbstverteidigung in Essen und Hattingen. Ihre Zielgruppe: die 40 Vollzeit-Kräfte und die 150 bis 200 Ehrenamtler der Johanniter Unfall-Hilfe in Essen.

Aggressionen im Alltag: „Da wird rumgerotzt, gespuckt und leider auch geschlagen“

Im Schulungsraum im zweiten Obergeschoss simulieren die Trainer eine Bedrohungslage, die typisch ist für Großstadt-Einsätze am Wochenende: Ein Betrunkener, obwohl eigentlich hilflos, will sich nicht helfen lassen und reagiert aggressiv. Honecker kennt solche Situationen: „Da wird rumgerotzt, gespuckt und leider auch geschlagen.“

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Rettungssanitäter Jan Potocnik (22) bestätigt derartige Samstagnacht-Erfahrungen: „Wir können die Leute nicht nach Hause gehen lassen, weil sie ja nicht mehr geschäftsfähig sind. Dadurch gefährden sie sich und andere.“ De-Eskalation sei das vorrangige Ziel. Aber wenn der Betrunkene um sich schlage, habe selbstverständlich auch ein Rettungssanitäter das Recht auf Notwehr. „Wenn mich einer rechtswidrig angreift, wehre ich mich“, sagt Honecker. Und beschreibt den Ernst der Lage auf drastische Weise: „Wenn dich jemand würgt, hast du nur wenige Sekunden, ansonsten geht das Licht aus.“

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Von Thomas Mader und Wolfgang Kintscher

Christian Rihm, der Kampfsportler, demonstriert die besten Handgriffe für diesen Ernstfall. Blitzschnell schießt sein Arm vor und mit der flachen Hand hält er Gesicht und Kopf des Angreifers auf Distanz. Es wird gehebelt und gedrückt, der Arm umgedreht und – falls erforderlich – die Hand fixiert. „Wir vermitteln leicht zu erlernende und einfache Handgriffe“, sagt Rihm. „Der Rettungssanitäter darf bei einem Angriff auf keinen Fall in Schockstarre verfallen.“

Der Kampftrainer mahnt: „Spielt nicht den Helden, der geordnete Rückzug ist richtig“

Rettungsassistent Jochen Hörnes (28) schildert einen anderen Fall. Eine junge Frau, offenbar alkoholisiert, befand sich im RTW. Junge Männer seien hinzugekommen und seien mit einer Flasche auf eine Rettungssanitäterin losgegangen. Hörnes versuchte, den Mann von hinten zu greifen, doch da habe einer aus der Gruppe eine Flasche zerschlagen und die Sanitäter mit der messerscharfen Scherbe bedroht.

Die Johanniter wähnten sich im falschen Film. „Du kommst um zu helfen und dann das“, sagt Hörnes. Er habe den Mann losgelassen, das Team sei in den RTW geeilt und habe ihn bis zum Eintreffen der Polizei verschlossen. Honecker und Dihm, die beiden Trainer, loben Hörnes und seine Kollegin dafür. Sobald Angreifer Messer oder andere Waffen einsetzten, müsse die Rettung sofort abgebrochen werden. „Spielt nicht den Helden, der geordnete Rückzug ist richtig“, rät der Kampftrainer.

Mehr als 100 Johanniter haben die neue Art der Schulung bisher besucht. Der dreistündige Kurs mit je 90 Minuten Theorie und Praxis sei sinnvoll, sagen Jan Potocnik und Jochen Hörnes. Einfache Techniken zu beherrschen, sei halt nützlich im Alltag. „Aber man muss es regelmäßig trainieren, 90 Minuten reichen nicht.“