Essen-Burgaltendorf. Den einen raubten sie den Schlaf, für andere sind sie lieb gewonnene Tradition: Jetzt schweigen die Glocken in Essen-Burgaltendorf nachts.

Die Glocken der katholischen Kirche Herz Jesu in Burgaltendorf sind nachts verstummt, die Diskussion über diese Entscheidung wird umso lauter. Nach einer dringenden Bitte neuer Anwohner wurde der nächtliche Glockenschlag zum 1. Dezember in der Zeit von 23 bis 6 Uhr abgestellt. Der Beschluss aber löste auch Entsetzen und Sorge um eine alte Tradition in dem dörflichen Stadtteil aus. Unterschriftenlisten pro Glockenschlag füllen sich.

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„Die Kirche in Burgaltendorf wurde 1904 an der Alten Hauptstraße errichtet, und genauso lange ertönt der Glockenschlag“, sagt eine Burgaltendorferin, die nun wie so viele den Verlust dieser dörflichen Tradition beklagt. Die Glocken viertelstündlich und zur vollen Stunde jeweils die Uhrzeit – bislang auch nachts. Bisher hat das offenbar niemanden gestört: Wer in Kirchennähe zuzog, habe sogar unterschreiben müssen, gegen diese nächtlichen Schläge nicht vorzugehen, sagt sie.

Die neuen Nachbarn sind im Februar 2019 eingezogen

Die Baustelle an der Herz-Jesu-Kirche zu Baubeginn, nun befinden sich dort die Neubauten.
Die Baustelle an der Herz-Jesu-Kirche zu Baubeginn, nun befinden sich dort die Neubauten. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Mit den Neubauten (Erstbezug Februar 2019) gleich neben dem Gotteshaus hat sich diese Situation offenbar geändert: Es sollen zwar nur einige wenige gewesen sein, die angaben, die Lautstärke des nächtlichen Uhrzeitenschlages unterschätzt zu haben. Einer macht sogar gesundheitliche Beschwerden geltend. Das reichte aber aus, um das Thema im Gemeinderat auf die Tagesordnung zu setzen. Der gab sein Votum an den Kirchenvorstand, der entscheidet – so weit der formale Vorgang.

Dahinter aber steckten eine beispiellose Debatte, intensive Beratungen und vor allem viele Emotionen, sagt ein Mitglied der Gemeinde. In dieser seien viele fassungslos darüber, dass dem Bitten der Nachbarn nachgegeben worden sei. „Der Kirchturm hat doch beim Bau der Wohnanlage bereits gestanden und auch geläutet“, wird ein Anwohner zitiert. Ob Kita, Flughafen oder Feuerwehrwache – man könne doch nicht erst in diese Nachbarschaft ziehen, um sich dann über Kindergeschrei, Flugzeuglärm oder heulende Sirenen zu beschweren, lauten die Argumente.

Den Großteil der Zugezogenen störten die Glocken über Jahrzehnte nicht

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„Von neu hinzugezogenen Bürgern hört man oft, dass man es gar nicht mehr hört, wenn man eine Zeit lang in der Nähe der Kirche wohnt, da man sich an das Läuten schnell gewöhne. Den Großteil schien das über Jahrzehnte auch nicht gestört zu haben“, hat der Burgaltendorfer Martin von der Gathen auf der Internetseite des Stadtteils (Burgaltendorf.de) das notiert, was die Menschen an ihn herangetragen haben.

Läuteordnung zeigt Möglichkeiten auf

Für Kirchenglocken gilt laut Bistum eine Läuteordnung, die allerdings keine Verpflichtung darstellt, sondern Möglichkeiten aufzeigt.

Wie viele Kirchen in Essen nachts noch ihre Glocken läuten, dazu gibt es keine Angaben. Das entscheiden in der Regel die Verantwortlichen in den Pfarreien. Zehn gibt es in Essen, zu denen etwa fünf bis sieben Gotteshäuser zählen.

Jeder, der neben eine Kirche ziehe, wisse doch, worauf er sich einlasse. Doch die Mutmaßungen darüber, wie lange es nach dem Bau der neuen Häuser dauern werde, bis die ersten Anwohner sich über das Glockenläuten beschwerten, habe es bereits gegeben. „Eines ist jetzt klar: Lange hat es nicht gedauert“, fasst Martin von der Gathen das zusammen. Und so hat inzwischen eine lebhafte Diskussion das Dorf erreicht: auf der Straße und auch im Internet auf Plattformen wie Facebook.

Das Votum im Gemeinderat fiel eindeutig aus

Er ist bei der Entscheidung dem Votum aus dem Burgaltendorfer Gemeinderat gefolgt: Gereon Alter ist der Pfarrer für die Pfarrei St. Josef Ruhrhalbinsel.
Er ist bei der Entscheidung dem Votum aus dem Burgaltendorfer Gemeinderat gefolgt: Gereon Alter ist der Pfarrer für die Pfarrei St. Josef Ruhrhalbinsel. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Diese aufgewühlte Stimmung entgeht Pfarrer Gereon Alter, der für die Großpfarrei St. Josef und damit letztendlich für die Entscheidung in Burgaltendorf verantwortlich ist, nicht. Er habe daher ein Ohr für beide Seiten und habe bei dem Beschluss auf den Gemeinderat vertraut, weil dessen Mitglieder ja vor Ort lebten und die Atmosphäre aufgenommen hätten. Und deren Votum fiel klar aus: Es gab zwölf Stimmen fürs Abstellen, eine dagegen und drei Enthaltungen.

Neben diesem deutlichen Ergebnis weist Gereon Alter zudem darauf hin, dass es um den Stundenschlag gehe, der aus einer Zeit stamme, in der Menschen keine Uhr gehabt und die Glocken für ihren Tagesrhythmus gebraucht hätten. Beim sakralen Läuten, auch um Mitternacht zu Ostern oder Weihnachten, wenn es also um Liturgie gehe, lasse sich der Pfarrer mitnichten vom Abstellen der Glocken überzeugen.

Unterschriftenlisten und die Hoffnung auf die 115-jährige Tradition

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Dass ihre Kirche Herz Jesu ohnehin die letzte in der Pfarrei Ruhrhalbinsel gewesen ist, die nachts noch ihre Glocken erklingen ließ, ist kein Trost für viele Burgaltendorfer. Ganz im Gegenteil, sagt eine Katholikin, seien die Reaktionen und Enttäuschungen mitunter so heftig, dass einige sogar ihre Ehrenämter in der Gemeinde niedergelegt hätten. Zu leichtfertig, finden manche, hätten die Verantwortlichen nachgegeben.

Es hätten ja nicht einmal Klagen oder überhaupt rechtliche Schritte im Raum gestanden, habe sie erfahren. Offenbar habe es ausgereicht, dass bundesweit andere Kirchengemeinden in ähnlichen Fällen gegen Klagen von Anwohnern verloren hätten. „Das hat man wohl wegen des lieben Friedens entschieden – und offenbar unterschätzt, was man vielen Burgaltendorfen nimmt“, sagt sie. Denn mit der Entscheidung können viele keinen Frieden schließen, sie sammeln nun Unterschriften für ihre 115 Jahre währende Tradition. Und sie geben die Hoffnung auf das vertraute Glockengeläut nicht auf – auch nachts.