Essen. Mit einem Rad-Entscheid nach Aachener Vorbild will eine neue Initiative die Stadt zu planerischen Zugeständnissen bewegen. Und das im Wahljahr.
Zumindest auf geduldigem Papier kommen Essens Radler jetzt so richtig ins Rollen: Bis 2035, das hat im September der Stadtrat bekräftigt, sollen die Menschen zwischen Karnap und Kettwig 331.000 Fahrten mehr als heute mit dem Drahtesel absolvieren – fast eine Vervierfachung, die eingefleischte Fahrrad-Freunde allerdings kaum für möglich halten, wenn die Stadt planerisch nicht spürbar umsteuert. Auf Politik und Stadtverwaltung zu warten, dafür fehlt offenbar das Zutrauen und die Geduld. Und so machen die Rad-Fans jetzt selbst mobil – für einen stadtweiten „Rad-Entscheid“.
Nein, eine Essener Erfindung ist das nicht: Landauf landab schießen die Initiativen zu solchen Bürgerbegehren wie Pilze aus dem Boden. Es geht darum, einem Verkehrsmittel, das für die gewünschte Verkehrswende große Bedeutung, aber eben auch einen hohen Förderbedarf hat, politischen Schub zu verleihen. Denn „was nützen uns die schönsten Ziele, wenn man nichts dafür tut, um sie zu erreichen?“, sagt Jonathan Knaup, von Beruf Landschaftsarchitekt und einer der drei Vertretungsberechtigten des geplanten Rad-Entscheids.
Grünen-Ratsherr Rolf Fliß: „Nicht nur die üblichen Verdächtigen am Start“
Der soll, wenn es nach der Initiative geht, das (Wahl-)Jahr 2020 in Essen zu einem Jahr des Radverkehrs machen. Wie das genau aussehen könnte, daran wird derzeit noch gewerkelt: Arbeitsgruppen haben sich gegründet, ein Forderungskatalog entsteht, die eigene Webseite https://radentscheid-essen.de ist im Aufbau, erste Spendenbitten sind raus. Auch mit dem Wahlamt wurde bereits ein Gespräch geführt, zudem steht ein juristisch versierter Begleiter beratend zur Seite.
Es ist ein behutsamer Prozess, am Laufen gehalten von Ehrenamtlichen, der im Frühjahr in eine Unterschriftenaktion münden soll: „Ende April wollen wir so weit sein, dass wir damit auf die Straße gehen können“, sagt Knaup: Eine Bewegung fürs Rad, die derzeit offenbar einen Nerv und „auf großen gesellschaftlichen Rückhalt trifft“. Und es sind „nicht nur die üblichen Verdächtigen“ am Start, wie Rolf Fliß, Grünen-Ratsherr und Sprecher der Essener Fahrrad-Initiative, betont.
Essen soll von Aachen lernen: Dort lenkte die Politik kurzerhand ein
Dabei haben die Initiatoren den Vorteil, dass sie das Rad, in diesem Fall: den Rad-Entscheid nicht neue erfinden müssen. Von Aachen lernen, heißt offenbar siegen lernen: Dort fanden sich 37.400 Unterstützer für einen „Hochglanz-Premium-Radentscheid“, wie Knaup augenzwinkernd formuliert, den die Politik dadurch erledigte, dass sie sich seine Forderungen kurzerhand zueigen machte.
Zu denen gehörten nicht nur klare Kilometer-Vorgaben für den Ausbau des Radwegenetzes, feste Zusagen für den Umbau gefährlicher Kreuzungen und mehrer Planstellen in der Stadtverwaltung. Sondern auch die Erweiterung der Straßenreinigung und des Winterdienstes auf die Radtrassen sowie eine fixe Anzahl von Rad-Stellplätzen.
Die Kommunalwahl im Herbst gilt als Vorteil für die Mobilisierung
Acht Jahre Zeit gibt das Programm der Stadt Aachen, die Vorgaben umzusetzen, und auf eine vergleichbare Regelung arbeitet man auch in Essen hin: flexibel genug, um die Stadt nicht einzuschnüren, verlässlich genug, dass am Ende auch echte Erfolge und nicht nur bloße Worthülsen stehen.
Dass im kommenden Jahr Kommunalwahlen anstehen, sehen die Initiatoren des Rad-Entscheids als klaren Mobilisierungs-Vorteil, immerhin müssen drei Prozent der bei einer Kommunalwahl stimmberechtigten Bürger den Vorstoß unterstützen: rund 14.000 Menschen. Knaup und Co. sind zuversichtlich, nicht nur, weil es bei Initiativ-Begehren keine Abgabefrist der Unterschriftenlisten gibt. Denn wenn die Kampagne parallel zum Wahlkampf starte, „dann kommt in der Stadt einiges ins Rollen“.