Essen. 35 Richter und Staatsanwälte betrinken sich kontrolliert, um Gefahren von Alkohol am Steuer selbst zu testen. Die Bilanz: drei beschädigte Autos.
Fälle von Trunkenheit am Steuer und die Folgen beschäftigen Richter oder Staatsanwälte regelmäßig: Wie es sich anfühlt, wenn man alkoholisiert am Steuer sitzt und plötzlich die Kontrolle verliert, das wollten 35 Essener Justizbeamte herausfinden – und wagten den Selbstversuch.
Die Verkehrswacht und die Dekra luden zum Infoabend mit Alkohol und anschließenden Fahrübungen ein. Etwa zweieinhalb Stunden lang wurden etwa Bier und Wein ausgeschenkt, anschließend ging es ins Auto. Und auch, wenn sich da alle vorher schon einig waren - das Fazit lautet: Alkohol am Steuer, das sollte man dringlichst bleiben lassen.
Auch E-Scooter wurden getestet. Vorsitzender der Verkehrswacht sieht die Roller kritisch
Los ging es aber mit einem anderen Risikofaktor im Straßenverkehr: dem E-Scooter. Seit Juni 2019 darf er offiziell gefahren werden, seitdem gab es schon einigen Wirbel um den elektronischen Roller und seine Unfallgefahr, manch einer sprach gar von Anarchie auf deutschen Straßen. Auch Karl-Heinz-Webels, Vorsitzender der Essener Verkehrswacht, sieht die Roller kritisch: „Fahrradfahren lernt man langsam mit den Eltern, dann macht man die Fahrradprüfung in der Schule. Mit dem E-Scooter aber wird man ohne Training auf die Straße gelassen.“
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Viele führen unsicher und sollten lieber zuerst ein Fahrsicherheitstraining machen. Nach Meinung des Verkehrswacht-Vorsitzenden sind außerdem noch weitere Dinge nicht zu Ende gedacht - das Fehlen eines Blinkers an den Rollern sei beispielsweise ein großes Problem. „Ich bin der Meinung, dass die Zulassung der E-Scooter noch nicht hätte erfolgen dürfen“, sagt Webels.
Auf dem Scooter sind viele ganz souverän unterwegs
In einem gesicherten Rahmen, ordnungsgemäß mit Helm ausgestattet, konnten sich die Justizbeamten bei einer Probefahrt ihr eigenes Bild von den Scootern machen. Der Hintergrund: Wer einen Fall bearbeitet, in dem es mit einem der Roller zu einem Unfall gekommen ist, sollte sich mit dem Gefährt auskennen. Zum Befahren gibt es einen Parcours mit Hütchen, wer sich traut, kann auch über eine Rampe zu fahren. Bei einigen sieht das Ganze noch sehr holprig aus, andere sind schon ziemlich souverän auf dem Roller unterwegs. „Das war eigentlich ganz entspannt“, findet zum Beispiel Jan Waßenberg, Richter am Essener Amtsgericht.
Schon schwieriger ist das Fahren auf sogenannten Hoverboards - elektrisch betriebenen Rollbrettern ohne Lenkstange und Möglichkeit zum Festhalten. Die sind zwar für den Straßenverkehr nicht zugelassen, „wir haben sie aber in unseren Fahrtest eingeschlossen, weil sie häufig illegal genutzt werden“, so Jörg Zganiatz, Fachabteilungsleiter für Unfallanalytik und technische Gutachten bei der Dekra.
Teilnehmer trinken Bier, Wein, Sekt und Hochprozentiges
Und dann startet der Selbstversuch: Bier, Wein, Sekt und Schnäpse werden ausgeschenkt, jeder entscheidet selbst, was und wie viel er trinken möchte. Parallel hält Diplompsychologin Nina Pollack einen Vortrag über Betäubungsmittel - Cannabis, Amphetamine, Kokain, Heroin - und ihre Gefahren. So langsam merkt man: Die Aufmerksamkeit ebbt ab, es wird gequatscht, gelacht, mit Kümmerling angestoßen - dem Referat folgen längst nicht mehr alle.
Genau dieser schleichende Kontrollverlust sei typisch für die Folgen von Alkohol, weiß Andreas Malberger, Leiter des Verkehrsdienstes der Polizei: „Es gibt häufig die Neigung zu sagen: Ein bis zwei Bier kann ich trinken. Dann trinkt man eins zu viel, die Grenzen verschwimmen - und man hat eine völlig falsche Vorstellung davon, was man verträgt.“
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Justizbeamte sind sich einig: Normalerweise würde so keiner mehr ins Auto steigen
Nach zwei Gläsern Wein, einem Klopfer und einem Sambuca, ist sich Staatsanwältin Annika Bothe sicher: „Ich würde auf keinen Fall mehr Auto fahren.“ Und in der Tat: Das Messgerät zeigt 0,7 Promille an. Diesen Wert unterbietet Max Kellermann nur leicht. 0,6 Promille hat der Amtsrichter laut Messung nach sechs Gläsern Bier. „Man erlebt ja oft, dass Leute denken, sie könnten alkoholisiert noch fahren. Wir merken aber hier: Das geht definitiv nicht“, sagt Kellermann.
In der Tat zeigt die Veranstaltung im Laufe des Abends geradezu schulmeisterlich, wie es mit steigendem Pegel zu den ersten Ausfallerscheinungen kommt. „Man sieht es am Verhalten der Leute, an der Gestik. Die würde ich alle sofort anhalten und kontrollieren, wenn ich sie im Straßenverkehr sehen würde“, sagt Carsten Richters aus dem Verkehrsunfallaufnahmeteam der Polizei, der den Abend begleitet und die Promillewerte misst.
Eigentlich soll eine Einparkübung gemacht werden - am Ende sind drei Autos kaputt
Dieser Eindruck bestätigt sich, als es dann an die ersten Fahrübungen geht. Eigentlich sollen die Teilnehmer - immer begleitet von einem Dekra-Mitarbeiter auf dem Beifahrersitz - versuchen, von einer Parklücke in die andere zu fahren und dabei noch eine WhatsApp-Nachricht zu tippen. Das soll zusätzlich die Gefahren von Handynutzung am Steuer zu verdeutlichen.
Die reguläre Aufgabe wird vielen aber offenbar zu langweilig: Es dauert nicht lange, bis die Justizbeamten beginnen, sich gezielt gegenseitig zu rammen und frontal gegeneinander zu fahren. Die Endbilanz: Alle drei Testautos sind beschädigt. „Das bestätigt genau das, was wir immer sagen - mit steigendem Pegel verliert man die Kontrolle“, sagt Malberger.
Fazit: „Alkohol und Autofahren passt nicht zusammen“
Das Fazit nach circa zweieinhalb Stunden Alkoholkonsum und drei demolierten Fahrzeugen ist also an sich kein Neues: „Alkohol und Autofahren passen nicht zusammen - das haben wir alle gewusst und heute wurde es noch einmal bestätigt“, so Amtsrichterin Gaury Sastry.
Aus diesem Grund warnen Polizei, Dekra und Verkehrswacht eindringlich vor Alkohol am Steuer - selbst, wenn es nur ein Glas ist und man unter dem Grenzwert von 0,5 Promille liegt. Denn, so Malberger: „Jeder reagiert anders auf den Alkohol. Die Folgen sind nicht abschätzbar.“