Essen. Essener Behörden appellieren an Anbieter „Lime“, Blinker und automatische Seitenständer nachzurüsten. Der Anlass war ein erstes Fahrtraining.
Knapp 1000 E-Scooter, die inzwischen in Essen unterwegs sind, sollen sicherer werden: Polizei, Stadt und Verkehrswacht forderten den mit Abstand größten Anbieter „Lime“ am Sonntag auf, die Leihroller mit Blinkern am Lenker und mit Seitenständern nachzurüsten, die beim Start automatisch einklappen. „Lime“-Deutschlandmanager Alexander Pfeil sicherte am Rande eines ersten Fahrtrainings mit den Trendtretern seiner Firma zu, die Verbesserungsempfehlungen einzuspeisen. Wann sie umgesetzt werden könnten, ließ Pfeil allerdings offen. Die Roller, sagte er, werden in China gebaut. Das könne dauern. Und ob das Kraftfahrtbundesamt da nicht auch noch ein Wörtchen mitzureden hätte, darüber waren sich Pfeil und Sven Lange, Chef der Essener Verkehrsbehörde, schon am Sonntag uneins. Willkommen in der Grauzone.
Die Verkehrsverantwortlichen in der Stadt raufen sich derweil weiterhin die Haare angesichts des inzwischen gemeingefährlichen Treibens auf den zwei kleinen Rädern. Verbotene Fahrten über Gehwege sind genauso an der Tagesordnung wie die unter Alkohol, und schwere Unfälle wegen Missachtung klarer Vorschriften, wie der mit einem schwer verletzten Fußgänger (73) zuletzt am Donnerstag auf einem Rüttenscheider Bürgersteig, der absolut tabu ist für Roller, mehr als nur ein Warnsignal. Die Behörden können zwar hie und da gegensteuern, indem sie an Vernunft wie Verantwortung der Nutzer als auch Anbieter appellieren oder Verstöße mit Geldbußen bis hin zum Entzug des Autoführerscheins ahnden. Im Grunde jedoch müssen sie jene Suppe auslöffeln, die ihnen der Verkehrsminister und das Kraftfahrtbundesamt eingebrockt haben.
Polizeidirektor bezeichnet die Berliner Genehmigungspraxis als fahrlässig
Solche Ohnmachtsgefühle provozieren heftige Kritik: Als „fahrlässig“ hat Essens Polizeidirektor Wolfgang Packmohr am Rande des Fahrsicherheitstrainings mit „Lime“-Rollern auf dem Frillendorfer Verkehrsübungsplatz die Berliner Genehmigungspraxis bei den E-Scootern bezeichnet. Keine Blinker an einem Kraftfahrzeug – und nichts anderes sind die Elektroroller – seien ein Unding und ein Sicherheitsrisiko zudem, zu denen sich aber noch eine ziemliche Absurdität geselle: Wer mit einem E-Scooter abbiegt, muss ein Richtungszeichen geben. Mangels Blinker hat er dann die Wahl, zu diesem Zweck eine Hand vom Lenker oder einen Fuß vom Trittbrett zu nehmen. Die Sturzgefahr fährt also immer mit. Wedelt er allerdings nicht mit Arm oder Bein und erwischt ihn die Polizei, ohne ein Signal abgebogen zu sein, werden zwangsläufig zehn Euro fällig. Für Packmohr und Karl-Heinz Webels, den Vorsitzenden der Essener Verkehrswacht, gehört dies in eine Reihe krasser Fehler, die trotz aller Warnungen im Hause Scheuer gemacht worden seien, bevor die Roller auf die Innenstädte losgelassen wurden.
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Einen Vorgeschmack aufs E-Scooterfahren – wenn auch im beschützten Raum – bekamen am Sonntag rund 20 Teilnehmer des ersten von „Lime“ in Essen angebotenen Fahrtrainings auf dem Verkehrsübungsplatz der Verkehrswacht in Frillendorf. Weitere sollen folgen, kündigte deren Vorsitzender Karl-Heinz Webels an – künftig aber wohl in den Jugendverkehrsschulen. Dort gelte strikte Helmpflicht, die es auf den Straßen nicht gebe.
Ohne mehr Radverkehrsflächen geht es nach Ansicht der Polizei nicht
Um die Lage dort zu entzerren, „brauchen wir dringend mehr Radverkehrsflächen“, fordert der Chef der polizeilichen Verkehrsdirektion. Wenn ein E-Scooter-Pilot mangels Radweg oder -schutzstreifen auf die Straße ausweiche und die Erfahrung mache, wie instabil das Gefährt schon durch den Luftzug eines mit 50 bis 60 km/h schnellen Autos werde, müsse man sich nicht wirklich wundern, wenn er sich in verbotene Zonen wie Bürgersteige rette.
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