Essen. Bei einem Besuch in der Potsdamer Einrichtung soll der AfD-Abgeordnete Euthanasie-Morde verharmlost haben. Doch der so Gescholtene widerspricht.
Als die Besucher aus der Heimat wieder abgereist waren, da winkte der Bundestagsabgeordnete ihnen mit ein paar Erinnerungsbildern hinterher: „Schön war‘s!“, schrieb Stefan Keuter im sozialen Netzwerk Facebook, doch das sieht man in der Potsdamer Gedenkstätte Lindenstraße offenbar ganz anders: Die Einrichtung, die die Geschichte politischer Verfolgung und Gewalt in den unterschiedlichen Diktaturen des 20. Jahrhunderts dokumentiert, hat gegen den Essener Abgeordneten Strafanzeige erstattet. Wegen des Verdachts auf Volksverhetzung.
Keuter, so schildert es die Leiterin der Gedenkstätte, Uta Gerlant, habe beim Rundgang durch den einstigen Gerichts- und Gefängniskomplex die Euthanasie-Morde der Nationalsozialisten relativiert, als er betonte, man müsse diese aus ihrer Zeit heraus verstehen. Ein anderer Teilnehmer habe darauf verwiesen, dass es Zwangssterilisationen ja auch in anderen Ländern gegebene habe.
Verbrechen der Nazis zum ersten Mal „derart verharmlost“
„Es ist unerträglich, dass an einem Ort, der dem Gedenken an die Opfer der menschenverachtenden NS-Ideologie gewidmet ist, NS-Verbrechen verharmlost werden“, empörte sich Gedenkstätten-Leiterin Gerlant, die sich zunächst mit verschiedenen Institutionen beraten hatte, bevor sie dann am vergangenen Donnerstag die Strafanzeige stellte – knapp sechs Wochen nach dem Besuch der von Keuter begleiteten Gruppe: „Dies ist der Versuch, völkisches Denken in die Mitte unserer Gesellschaft zu tragen und Ungleichheitsideologien den Weg zu bahnen. Dem stellen wir uns entschieden entgegen.“
Nach ihren Worten ist es das erste Mal, dass in der Gedenkstätte Lindenstraße Verbrechen gegen die Menschlichkeit „derart verharmlost worden“ sind.
Für Keuter ist die Strafanzeige ganz klar „politisch motiviert“
Der AfD-Bundestagabgeordnete Stefan Keuter wiederum weist den Vorwurf der Volksverhetzung auf Anfrage als völlig unbegründet zurück: „Ich gehe fest davon aus, dass diese Strafanzeige politisch motiviert ist“, so der 47-Jährige am Samstag – für ihn nicht verwunderlich, sei doch die komplette Führung übers Gelände „politisch sehr eingefärbt“ und die Führerin augenscheinlich mit AfD-Positionen über Kreuz gewesen.
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Keuter räumt ein, dass man schon vor Ort in einen kurzen Streit über den Schwerpunkt der Führung geriet: Die Gruppe aus rund 20 Gästen habe einen Fokus auf die Stasi-Verbrechen während der DDR-Zeit erwartet, stattdessen sei vor allem das Thema Euthanasie zur Sprache gekommen.
Der Abgeordnete kontert – mit einer Anzeige wegen Verleumdung
In der darauf folgenden Diskussion habe er die Frage der Führerin, ob er die Verbrechen der Nazis herunterspielen wolle, ausdrücklich verneint. Umso überraschter sei er jetzt, dass die Gedenkstätte im Nachhinein die Anzeige erstattete. Der sieht Keuter nach eigenem Bekunden „ziemlich gelassen entgegen“ – und kündigte am Samstag nun seinerseits eine Strafanzeige wegen Verleumdung an.
Wie immer der Zwist ausgeht, in den eigenen Reihen dürfte Keuters Renommee nicht gerade steigen. Schon mit dem Versand von Nazi-Bildchen per Whatsapp hatte sich der Bundestagsabgeordnete viel Ärger und später eine Rüge vom Bundesvorstand seiner Partei eingehandelt. Und erst vor zwei Wochen eckte er mit einem Grinse-Selfie zum Volkstrauertag an, das ihm unflätigste Beleidigungen selbst von AfD-Leuten einbrachte.
So oder so: Die nächste Besuchergruppe ist schon eingeladen: Vom 16. bis zum 19. Februar soll sie Keuter in Berlin besuchen kommen, das Bundespresseamt zahlt. Und Keuter verspricht: „Mein ganzes Team und ich geben uns größte Mühe (...) tiefe Einblicke in die politische Arbeit zu ermöglichen.“