Essen. Die Arbeitslosenquote ist nach Jahrzehnten unter die Zehn-Prozent-Marke gefallen. Drei Gründe, warum die Arbeitslosigkeit zuletzt gesunken ist.
Am „Black Friday“ fielen in den Läden der Stadt heute nicht nur die Preise rekordverdächtig. Auch die Arbeitsagentur hatte an diesem Tag eine historische Zahl anzubieten: Erstmals seit mindestens 28 Jahren ist die Arbeitslosenquote in Essen wieder unter die Zehn-Prozent-Marke gerutscht. Möglicherweise reicht dies sogar noch weiter zurück. Doch wegen Änderungen in der Statistik ist ein Vergleich, der weiter zurückgeht, seriös nicht möglich. Die Arbeitslosenquote lag im November bei 9,8 Prozent - und somit 0,3 Punkte niedriger als im Oktober. Dennoch gehört Essen landes- wie bundesweit immer noch zu den Schlusslichtern. In NRW haben nur Dortmund, Duisburg und Dortmund höhere Arbeitslosenquoten.
Auch wenn sich an dem Kellerdasein nichts verändert hat, sagte die Chefin der Arbeitsagentur, Andrea Demler: „Wir sind sehr froh, dass wir die psychologisch wichtige Marke endlich unterschritten haben.“ Von der guten Wirtschaftskonjunktur hätten zunehmend auch die Langzeitarbeitslosen in Essen profitiert. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit spiegelt sich daher vor allem in den Zahlen des Jobcenters wider, das in Essen für die Menschen zuständig ist, die ein Jahr und länger ohne Job sind. Derzeit sind dort rund 23.900 Arbeitslose gemeldet. Das ist weiterhin eine sehr hohe Zahl. Doch in Spitzenzeiten zählte das Jobcenter nahezu 36.000 Langzeitarbeitslose. „Die Zahl von 23.900 ist deshalb historisch zu nennen“, sagte Sozialdezernent Peter Renzel, in dessen Verantwortungsbereich das Jobcenter fällt.
Was hat dafür gesorgt, dass die Arbeitslosigkeit in jüngster Zeit gesunken ist?
Erstens entlastet immer noch die öffentlich geförderte Arbeit den Arbeitsmarkt stark. Allein fast 600 Menschen haben über den sozialen Arbeitsmarkt einen Job gefunden.
Zweitens gelingt es laut Renzel dem Jobcenter immer besser, Flüchtlinge in Arbeit zu bringen. „Das wird dynamischer, auch weil sich Sprachbarrieren langsam abbauen.“
Drittens sieht Renzel einen großen Erfolg darin, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Essen merklich abgenommen hat.
Wirtschaft in Essen brummt und stellt ein
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Die wichtigste Voraussetzung bei alldem ist allerdings gewesen: Der Wirtschaft in Essen geht es seit Jahren gut. „Die Wirtschaft ist aufnahmefähig“, sagte Demler und meint damit: Die Firmen suchen Arbeitskräfte und stellen ein. Das wird daran deutlich, dass die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse in Essen seit mehreren Jahren kontinuierlich steigen auf zuletzt 250.190.
Dabei fielen aus Sicht der Arbeitsagentur besonders diese Branchen auf, die Arbeitsplätze geschaffen haben: Pflege, Handel, Baugewerbe, Lager und Logistik, Callcenter. Viele Arbeitsplätze entstanden in der jüngeren Vergangenheit jedoch vor allem als Teilzeitjobs und im Niedriglohnsektor. „Der Niedriglohnsektor steigt weiter“, räumte Renzel ein.
Gewerkschaft warnt vor zuviel Euphorie
Das ist auch die Kritik, die die Gewerkschaft bei aller Euphorie anführt: „Immer mehr Jobs entstehen außerhalb des Tarifbereiches“, sagte Essens DGB-Chef Dieter Hillebrand. Essen sei noch immer eine Stadt mit hoher Armut und einer hohen Langzeitarbeitslosigkeit. „Die 9,8 Prozent sind schön, aber nur eine statistische Zahl. In der Lebenswirklichkeit sind immer noch zu viele draußen“, meint Hillebrand.
Die Zahlen für November
Im November waren 29.647 Personen arbeitslos gemeldet, 677 weniger als im Vormonat (-2,2 Prozent). Gegenüber dem Vorjahresmonat hat die statistische Arbeitslosigkeit um 993 Personen abgenommen (-3,2 Prozent).
Würde man all diejenigen mitzählen, die in der Arbeitslosenstatistik nicht erfasst werden, weil sie in Weiterbildungen oder Ein-Euro-Jobs stecken bzw. wegen ihres Alters heraus fallen, dann sind in Essen aktuell 44.878 Menschen ohne Arbeit, also 15.231 mehr als in der offiziellen Statistik genannt. Die Arbeitslosenquote betrüge dann 14,3 Prozent und ist damit sowohl gegenüber Oktober 2019 als auch November 2018 gesunken. „Wir haben die Unterbeschäftigung nicht in die Höhe getrieben“, begegnet Agentur-Chefin Andrea Demler möglichen Vorwürfen der Statistiktrickserei.
Ob Essen die Neun vorm Komma lange behalten kann, ist fraglich. Denn zum einen steigt in den Wintermonaten regelmäßig die Arbeitslosigkeit. Zum anderen gibt es erste Anzeichen, dass Firmen Mitarbeiter in größerem Maße entlassen. In diesem Jahr gab es bei der Arbeitsagentur schon über 30 Entlassungsanzeigen von Unternehmen. Im vergangenen Jahr waren es 22. Noch steigen dadurch die Arbeitslosenzahlen nicht, weil die Menschen schnell wieder Arbeit finden. Andrea Demler ist zuversichtlich, dass dies trotz schlechterer Konjunkturprognosen so bleibt. Dabei spiele Essen in die Karten, dass es in der Stadt kaum noch Industrie gebe, die von der Konjunkturabkühlung derzeit besonders betroffen ist. Stattdessen suchen vor allem die konjunkturabhängigen Branchen wie der Gesundheitsbereich weiter Arbeitskräfte.