Essen. . Elisabeth H. lebt von Hartz IV. Sie berichtet, wie sie durch Krankheit hineinrutschte und wie nun ein neues Projekt ihr wieder Hoffnung macht.
„Ich habe erst einmal überlegen müssen, ob ich meine Geschichte überhaupt so öffentlich machen soll. Denn ich will mich nicht in den Vordergrund drängen. Ich habe mich aber schließlich dazu entschieden, weil ich erlebe, dass Menschen wie ich zu wenig Gehör finden. Und dass es so viele Vorurteile gegenüber Leuten wie mich gibt. Vor allem aber will ich anderen Betroffenen Mut machen.
Ich bin 64 Jahre alt, alleinstehend, habe keine Kinder. Seit über zehn Jahren bin ich arbeitslos und lebe von Hartz IV. Dabei wünsche ich mir nichts mehr als Arbeit.
Nach meiner Schulausbildung habe ich zunächst zehn Jahre als Bankkauffrau gearbeitet und war bei einer großen Bank in der Wertpapier-Beratung. 1983 bin ich in den IT-Bereich gewechselt und war dort in den letzten Jahren vor meiner Arbeitslosigkeit freiberuflich tätig. Ich habe Datenbank-Projekte für große Unternehmen im Ausland begleitet. Zum Beispiel in Israel. Ich habe damals sehr gutes Geld verdient. Existenzielle Sorgen kannte ich nicht!
Dann kam der 11. September 2001 und plötzlich blieben die Aufträge aus. Ich musste von meinem Ersparten leben, was ich mir eigentlich für den Ruhestand zurückgelegt hatte. Sorgen hab ich mir damals aber noch keine gemacht. Ich dachte, das ist nur eine Phase. Aber dann ging es mir auch gesundheitlich schlechter, ich konnte bald danach nicht mehr arbeiten, musste mich 2007 schließlich einer Herzklappen-Operation unterziehen. Bis ich wieder gesund war und arbeiten gehen konnte, verging etwas mehr als ein Jahr. Schon 2004 aber war mein ganzes erspartes Geld weg. Seither lebe ich von Hartz IV. Eine Privatinsolvenz liegt auch hinter mir.
Ich habe in den vergangenen Jahren hunderte Bewerbungen geschrieben, bin bei Personalagenturen in Datenbanken gespeichert. Bislang war alles erfolglos. Dabei bekomme ich von den Agenturen durchaus Angebote. Immer wieder sagen sie mir: „Frau Hendricks, Ihr Profil passt genau auf die Stelle.“ Allerdings höre ich dann nie wieder etwas und wenn ich nachfrage, woran es gelegen hat, dann heißt es immer: „Das wissen wir nicht.“ Lag es am Alter? Daran, dass ich eine Frau bin? Lag es am Stundensatz? Ich bekomme auf meine Fragen immer nur ein Nein als Antwort. Natürlich weiß ich, dass sie mir die Wahrheit nicht sagen dürfen.
Eine Arbeit im Angestelltenverhältnis zu bekommen, ist noch schwieriger. Und in meinem Alter mittlerweile wahrscheinlich ganz aussichtslos. Ich hab mich schon bei einer Bäckerei beworben, wollte Brötchen verkaufen, oder an der Kasse im Baumarkt arbeiten, oder als Bürokraft. Auch da habe ich nur Absagen bekommen. Dann heißt es: Mit Ihrer Qualifikation sind Sie doch schnell wieder weg, wenn Sie was Besseres finden.
Meine Pläne sahen einmal ganz anders aus, ich wollte mir fürs Alter ein kleines Vermögen schaffen. Doch dann hat es mir den Boden unter den Füßen weggezogen.
Projektmanagement, Kommunikation, Organisation, Systemanalyse – das sind die beruflichen Felder, in denen ich sehr gut bin. Ich bin dazu auch sehr flexibel. Beim Jobcenter konnte man mir aber nie eine Stelle anbieten, die zu meiner Qualifikation passte. Als mir die zuständige Mitarbeiterin dort sagte, dass sie nichts für mich tun könne und mir nichts anbieten kann, hab ich am Telefon geheult. Die Politik und auch die Medien sprechen immer wieder davon, dass qualifizierte Fachkräfte fehlen. Ich bin hochqualifiziert! Warum greifen die Unternehmen nicht zu?
Vergangenes Jahr dann erhielt ich einen Brief vom Jobcenter. Ich könne an einem neuen Projekt namens „Kontakt“ teilnehmen. Ich war alles andere als begeistert. Ich bin eine eigenständige Person und will über mein Leben selbst entscheiden. Wenn einem dann die Abhängigkeit vom Staat so bewusst wird, ist das nicht gerade beglückend. Die Teilnahme war zwar freiwillig, aber ich habe sie als freiwillige Pflicht empfunden.
In den Kursen geht es jedes Mal um ein anderes Thema. Zum Beispiel um Gesundheitsthemen, um Motivation oder auch darum, die eigenen Ressourcen zu erforschen. Anfangs bin ich sehr skeptisch hingegangen. Aber nach dem dritten oder vierten Mal hat sich mein Eindruck geändert. Ich sah, wie die Mitarbeiter dort mit Herzblut dabei sind, Menschen wie mir auf den Weg zu helfen. Ich habe Wertschätzung gespürt. Das war mir völlig abhandengekommen. Zwar nicht in meinem Freundeskreis, aber im weiteren sozialen Umfeld. Das ist ein gutes Gefühl.
In den Kursen ist vor allem auch Raum da, eigene Angelegenheiten zu diskutieren. Beim Jobcenter konnte man das nie. Die Mitarbeiter dort haben gar nicht die Zeit dafür.
Nach etwa einem halben Jahr in den Kursen habe ich begonnen wieder zu träumen. Nämlich dass ich wieder reisen will, mir wieder ein Auto kaufe und ich wieder meine Freunde zum Essen einlade. Das alles kann ich mir heute nicht leisten, das gibt Hartz IV nicht her.
Nun bin ich schon ein Jahr bei „Kontakt“ und ich habe jetzt freiwillig noch um ein halbes Jahr verlängert. In mir ist der Mut gewachsen, wieder mehr zu wollen. Ich will mich nochmal auf den Weg machen, will mich aktivieren. Denn meine Träume sollen wahr werden."
Jobcenter startet Modellprojekt für über 3600 Arbeitslose
Das Jobcenter hat im vergangenen Jahr das Projekt „Kontakt“ gestartet. Die Arbeitsbehörde will sich damit verstärkt den Menschen widmen, die schon lange Zeit Hartz IV beziehen und die bislang keine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt hatten. „Es geht in erster Linie um das Thema Stabilisierung und darum, die Menschen auf den Weg zu bringen, dass sie an die eigenen Stärken wieder glauben“, sagt Dietmar Gutschmidt, Leiter des Jobcenters.
Gleichzeitig könnte das Projekt eine Vermittlungsbasis für den geplanten Sozialen Arbeitsmarkt sein, den die Bundesregierung jetzt anschieben will. „Wir haben die Chance, die Menschen so besser kennenzulernen“, so Gutschmidt. Im Jobcenter, räumt er ein, bleibe dafür häufig zu wenig Zeit.
Das jeweils ein Jahr laufende Projekt „Kontakt“ ist ein so genanntes niederschwelliges Angebot. Die Teilnahme ist grundsätzlich freiwillig, auch wenn das die Teilnehmer offenbar anders empfinden. Einmal im Monat treffen sie sich in den Kursen, die unterschiedliche Themen behandeln. Das Jobcenter hat die Arbeit und Bildung Essen Gesellschaft (ABEG) mit dem Projekt beauftragt. Die ABEG ist ein Tochterunternehmen der städtischen EABG (kurz für Essener Arbeit und Beschäftigungsgesellschaft).
Im vergangenen Jahr nahmen an „Kontakt“ 2000 Arbeitslose teil, in diesem Jahr sind es seit April 1680. Im Durchschnitt waren sie 9,6 Jahre arbeitslos. Die Zielgruppen sind definiert. Erstens: Arbeitslose, die schon mehrere Maßnahmen hinter sich haben, aber immer noch keine Arbeit gefunden haben. Zweitens: Arbeitslose, mit denen das Jobcenter bislang wenig Kontakt hatte. Drittens: über 59-Jährige, „die wegen ihres Alters zugegeben nicht mehr so gefragt am Arbeitsmarkt sind“, so Gutschmidt. Und viertens: Menschen, die nur eingeschränkt drei bis sechs Stunden am Tag arbeiten können.
Von den 2000 Teilnehmern im vergangenen Jahr haben 270 das Angebot vorzeitig abgebrochen. Eine Zahl, die das Jobcenter eher positiv überrascht hat, hält doch der überwiegende Teil durch und sieht darin offenbar einen Nutzen. Der direkt messbare Erfolg wären Vermittlungen in Arbeit. Mit 28 hält sich die Zahl allerdings in Grenzen.
Gutschmidt sieht das aber nicht als einzig entscheidend an. Es müsse im Anschluss darum gehen, für die Teilnehmer individuell herauszufinden, was für sie ein passendes Angebot ist. Gutschmidt setzt da vor allem auf den Sozialen Arbeitsmarkt als Brücke für viele der Betroffenen. Auch für Elisabeth H. glaubt er, dass sie auf diesem Wege noch einmal ins Berufsleben starten kann. Zumal sie sagt, dass sie gerne über ihr gesetzliches Renteneintrittsalter hinaus arbeiten möchte. „Wir werden für Frau H. etwas finden“, meint auch Doris Walencki von der ABEG in dem Gespräch.