Essen. In Essen sind die Teilzeit-Jobs binnen zehn Jahren um 63 Prozent angestiegen und haben damit großen Anteil am Wachstum der Arbeitsplätze.

Die Beschäftigung in Essen wächst von Jahr zu Jahr. Doch der Beschäftigungsboom hat eine Kehrseite: Vor allem die sogenannten atypischen Arbeitsverhältnisse sind in Essen für den Jobzuwachs verantwortlich. Als atypisch allgemein gelten befristete Verträge, Teilzeitarbeit mit 20 und weniger Wochenstunden, Zeitarbeit sowie Minijobs. Betroffen davon sind in Essen überproportional Frauen und Ausländer, die in solchen Arbeitsverhältnissen beschäftigt sind. In der Regel geht eine solche Arbeit mit einer prekären Einkommenslage einher.

In der Stadt gab es Ende 2017 insgesamt 246.512 sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse. Das sind 13 Prozent mehr als noch zehn Jahre zuvor. Der größte Anteil dieser insgesamt positiven Entwicklung ist dabei auf den starken Anstieg der Teilzeitbeschäftigung zurückzuführen. Das geht aus einer statistischen Auswertung der Stadt hervor, die die atypische Beschäftigung von Ende 2008 bis Ende 2017 untersucht hat und deren Ergebnisse jetzt veröffentlicht wurden.

Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte, Entwicklung in Essen
Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte, Entwicklung in Essen © funkegrafik nrw | Selina Sielaff

So haben die Teilzeitjobs in diesem Zeitraum um über 63 Prozent zugenommen und summieren sich auf 67.774 Menschen in der Stadt, die verkürzt arbeiten – wobei statistisch nicht erfasst ist, um wie viele Stunden die Betroffenen ihre Arbeitszeit reduziert haben. Das heißt: In Teilzeit arbeiten mittlerweile 28 Prozent der Arbeitnehmer und damit mehr als jeder Vierte. Vor zehn Jahren lag der Anteil noch bei 19 Prozent. Die Vollzeitbeschäftigung hat im gleichen Zeitraum dagegen nur um 3,3 Prozent zugelegt. Positiv immerhin: Die Zahl der Minijobs und die Zeitarbeit sind nach Statistiken der Arbeitsagentur zuletzt zurückgegangen. Bei den befristeten Arbeitsverträgen dagegen hat Essen mit rund 13 Prozent landesweit einen überdurchschnittlichen Anteil.

Teilzeit-Zunahme hat gute wie schlechte Seiten

Die Zunahme der Teilzeit hat aus Sicht der Essener Arbeitsagentur verschiedene Ursachen und ist per se nicht zu verteufeln. Meist sind es Frauen, die verkürzt arbeiten. Sie machen in Essen 75 Prozent der Teilzeitbeschäftigten aus. Vielen Frauen erlaubt die Arbeitszeitreduzierung, dass sie die Erziehung von Kinder oder Pflege von Angehörigen mit ihrem Beruf vereinbaren können. Gebe es die Möglichkeit zur Teilzeit nicht, müssten sie ganz aufs Arbeiten verzichten. Auch der Arbeitskräftebedarf und die daraus wachsende Beschäftigung haben laut Arbeitsagentur dazu geführt, dass mehr Menschen aus der so genannten „stillen Reserve“ wieder ins Arbeitsleben kamen. „Da es sich hierbei meist um Frauen bzw. Berufsrückkehrerinnen aus der Familienzeit handelt, stehen sie meist nur in Teilzeit zur Verfügung“, meint die Arbeitsagentur.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht in der Entwicklung aber auch die Kehrseite: „Wir haben nicht mehr Arbeit, sondern haben die Arbeit nur anders verteilt“, sagt Essens DGB-Chef Dieter Hillebrand. Dass Vollzeitarbeitsplätze in Teilzeit umgewandelt würden, „halte ich für höchst problematisch“. Denn klar sei, dass Teilzeitbeschäftigte mit einer halben Stelle nicht davon leben könnten. „Das sind später dann die Renten, die in die Armut führen“, sagt Hillebrand.

Unternehmen können durch Teilzeit besser planen

Entwicklung Minijobs und Beschäftigung von Ausländern

Die geringfügige Beschäftigung (450 Euro Jobs) ist laut Arbeitsagentur im Zeitraum September 2008 bis September 2018 von 57.903 Personen auf 55.940 zurückgegangen. Der Anteil der ausschließlich geringfügig Beschäftigten ist dabei seit der Einführung des Mindestlohns 2014 signifikant gesunken – von 45.002 Personen (September 2014) auf 39.059 (September 2018). Das ist laut Arbeitsagentur darauf zurückzuführen, dass viele geringfügig entlohnte Arbeitnehmer durch den Mindestlohn über die gesetzliche Lohngrenze kamen und in eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung kamen (und dort vermutlich wiederum in Teilzeit). Dafür spricht auch, dass der Anteil der nebenberuflich geringfügig Beschäftigten im gleichen Zeitraum leicht gestiegen ist (von 16.457 auf 18.844 Personen).

Ausländer haben in Essen stark vom Beschäftigungsboom profitiert. Ende 2017 waren 24.616 Essener mit ausländischem Pass in einem sozialversicherungspflichtigen Job. Das ist ein Zuwachs um fast 70 Prozent gegenüber 2008. Allerdings sind Ausländer eher in atypischen Beschäftigungsverhältnissen zu finden. So ist ihr Anteil bei Minijobs (17,8 Prozent) überdurchschnittlich. Bei den Teilzeitbeschäftigten haben Ausländer einen Anteil von 13,5 %, bei Vollzeit nur 8,7 %

Gerade in frauendominierten Branchen wie Pflege und Handel sind die Teilzeitarbeitsplätze häufig die Regel, obwohl auch dort viele Frauen gerne Vollzeit arbeiten würden, es aber keine Vollzeitstellen gibt. Dann wird Teilzeit zur Falle. Aus Sicht von Hillebrand hat dies vor allem einen Grund: „Für das Unternehmen wird die Personalplanung so flexibler.“ Das bestätigt so auch der Unternehmensverband Essen, ergänzt aber: Aber nicht nur Unternehmen würden dies nutzen, auch Arbeitnehmer könnten durch Teilzeit „ihre Flexibilitätserfordernisse befriedigen“.

Die Chefin der Arbeitsagentur, Andrea Demler, appelliert angesichts wachsender Teilzeitjobs an die Unternehmen: „Qualifiziertes Personal ist immer schwieriger zu finden. Arbeitgeber sollten in allen Branchen die Gelegenheit nutzen, auch Teilzeitbeschäftigten die Chance zu geben, sich durch Qualifizierung und Weiterbildung ein solides Grundgerüst für ihr Arbeitsleben zu schaffen. Nicht wenige Arbeitnehmer möchten ihre Arbeitszeit irgendwann wieder aufstocken. Eine Qualifizierung kann hier als gutes Argument dienen.“