Essen. Theater mit Elfe und Heinzelmann: „Hinter verzauberten Fenstern“, das Frühwerk von Cornelia Funke, sorgt im Grillo für vorweihnachtliche Stimmung
Schokoladenentzug im Schauspiel Essen. Statt sich in der Vorweihnachtszeit immer nur auf den Süßkram zu stürzen, wird im Grillo-Theater jetzt fast täglich ein Kalenderfenster zur Fantasie aufgestoßen. Die Bühnenadaption von Cornelia Funkes Adventsmärchen „Hinter verzauberten Fenstern“ ist ein Ausflug in eine kindgerechte Kalenderwelt, in der alte Könige ein bisschen tüdelig, die Elfen zauberschön und ein Riese ganz einfach riesig sein dürfen. Die inhaltlich wie sprachlich recht geradlinig geführte Bühnenfassung von Vera Ring dürfte denn auch dafür gesorgt haben, dass das große Familienstück trotz mehrfacher Umbesetzungen wegen erkrankter Ensemblemitglieder mit nur dreitägiger Verzögerung am Dienstagmorgen souverän über die Bühne gehen konnte.
Spiel, Spaß, Spannung: Aus den guten alten Überraschungs-Ei-Zutaten hat Regisseurin Anne Spaeter ein Stück geschnürt, an dem auch die jüngsten Theater-Besucher ihren Spaß haben dürften. In dem Märchen von 1989 zeigt sich Bestseller-Autorin Cornelia Funke als poetische Erzählerin, die ihre Geschichten noch nicht in die dunklen Welten des Mittelalters und die Düsternis fremder Mythen überführt. In „Hinter verzauberten Fenstern“ ist die Hauptfigur Julia (mit ungekünstelter Spiellust und Natürlichkeit: Lene Dax) ein Mädchen im Hier und Jetzt, das von ihrer Mutter statt des ersehnten Schokoladenkalenders einen silbrig glitzernden Kalender bekommt, hinter dessen Türchen sich bloß Bilder verbergen. Julias Bruder Olli (als temperamentvoller Theater-Rabauke: Julius Ohlemann) dreht eine lange Nase.
Entführung auf der Blockschokoladen-Burg
Doch die vermeintlich öden Fensterbilder entpuppen sich bald als Türöffner in das Reich des tollpatschigen Flugmaschinenerfinders Jakobus Jammernich (in bester Vertretung: Gregor Henze) und seiner schrägen Kalenderhaus-WG: Melissa, die Elfe (mit quirligem Charme: Stephanie Schönfeld) und Barney, der faule Heinzelmann (ein liebenswerter Tölpel auf Socken: Benno Schulz) sind über den unerwarteten Gast ebenso begeistert wie Prinz Harry, der Hässliche (als Krankheitsvertretung: Stefan Diekmann). Nur Leopold, der Lügner (ein Fürst der Finsternis in Lederkluft: Philipp Noack) empfängt die Besucher alles andere als freundlich und entführt den armen Harry erst einmal auf seine Blockschokoladen-Burg.
Die Badewanne wird zum bemannten Flugobjekt
So schnurrt die Geschichte in 100 kurzweiligen Minuten (inklusive Pause) über die Bühne, wo Fabian Lüdicke mit großen, farbigen Kulissenwänden eine Märchenwelt erschaffen hat, die sich mit wenigen Handgriffen vom Kinderzimmer zum Kalenderhaus verwandeln lässt. Der alte König (Rezo Tschchikwischwili) wartet dort standesgemäß im weißen Zobel (Kostüme: Anne Koltermann) auf seine Abdankung, während Julia und ihre Crew den fiesen Entführer Leopold mit Kalorienbomben attackieren. Und wenn die Inszenierung mal richtig abhebt, dann wird sogar eine Badewanne zum bemannten Flugobjekt.
Das alles ist zauberhaft, aber auch ein bisschen artig. An die große Bühnen-Magie, die musikalische Originalität und den Witz früherer Familienstücke kann Spaeters jüngste Inszenierung nicht ganz heranreichen. Humor funktioniert diesmal vor allem auf der Slapstick-Ebene, und auch die Live-Begleitung der Musiker von Tanty Polly kann nur wenige überraschende Akzente setzen. Dafür kann man sogar den Bühnentechnikern des Hauses mit ihren Zipfelmützen als Team Heinzelmänner bei der Arbeit zugucken. Noch über 40 Mal wird ihr Einsatz bis Februar 2020 dafür sorgen, dass im Grillo-Theater fast täglich ein Fenster zur Fantasie aufgeht.
Bühnen-Premiere für den Stelzentrainer
„Hinter verzauberten Fenstern“ nach der Vorlage von Cornelia Funke läuft bis zum 10. Februar im Grillo-Theater, teils als Schul- , teils als Nachmittagsvorstellung. Fast alle Termine sind aber schon ausverkauft. Infos: Tel. 8122-200
Die Bühnenfassung stammt von Dramaturgin Vera Ring und Anne Spaeter, die das Stück auch inszeniert hat. Damien Bandulet war eigentlich nur als Stelzentrainer engagiert, stand wegen der Erkrankung eines Darstellers gestern aber selber als Riese auf der Bühne.