Essen. . Christian Arras nutzte einen Auftrag für die Wehrmacht, um deportierten Essener Juden illegal Lebensmittel, Kleidung und Briefe zu bringen.
Sie waren wenige, aber es gab sie: Deutsche, die während des Nationalsozialismus ihren jüdischen Mitbürgern beistanden, die ihre Entrechtung durch das Regime zu unterlaufen versuchten und sich so selbst in Lebensgefahr begaben. Einer von ihnen ist der Essener Kleinunternehmer Christian Arras. Im folgenden seine Geschichte, erzählt von unserem Gastautor.
Von Bernd Schmallhausen
Die „Gedenkstätte Deutscher Widerstand“ in Berlin erforscht in ihrer Sonderabteilung „Stille Helden“ die Lebenswege von Männern und Frauen, die während der NS-Herrschaft ihren jüdischen Mitbürgern Hilfe geleistet haben. Prominente Namen finden sich darunter, wie Oskar Schindler oder Else und Berthold Beitz. Die Rettungstaten von Christian Arras aus Essen sind dagegen weitgehend unbeachtet geblieben
Geboren 1914, wuchs Christian Arras im Stadtteil Segeroth auf, einem sozial benachteiligten Viertel, in dem auch viele jüdische Familien in meist ärmlichen Verhältnissen lebten. Mit einigen Kindern aus der jüdischen Nachbarschaft freundete sich Christian Arras schon in jungen Jahren an. Sein Vater betrieb an der heutigen Gladbecker Straße eine Magirus-Deutz-Vertragswerkstatt, die Lastkraftwagen reparierte.
Arras entschloss sich zu einer geradezu tollkühnen Aktion
Nach Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde Christian Arras zur Wehrmacht eingezogen und diente im Rang eines Schirrmeisters (Verantwortlicher für den Fuhrpark) in einem Pionierbataillon. Ende 1941 konnte er jedoch vorübergehend in den elterlichen Betrieb zurückkehren, da es seinem Vater gelungen war, die Freistellung für den kriegswichtigen Betrieb zu erwirken. Es war dies die Zeit, als auch in Essen die Massendeportationen jüdischer Bürger in die Ghettos und Vernichtungslager des Ostens begannen.
Während die meisten Essener ihre jüdischen Freunde und Bekannten nicht mehr grüßten und die Straßenseite wechselten, um eine Begegnung mit den „Sternträgern“ zu vermeiden, stand Christian Arras weiter zu seinen jüdischen Freunden aus dem Segeroth. Nachdem im April und Juni 1942 insgesamt 420 jüdische Männer, Frauen und Kinder, unter ihnen auch Freunde von Christian Arras, in das Ghetto des südpolnischen Izbica deportiert worden waren, entschloss sich Arras zu einer geradezu tollkühnen Rettungsaktion.
Wehrmachts-Laster mit Hilfspaketen für jüdische Deportierte
Staatsanwalt und Justizhistoriker
Bernd Schmalhausen, Jahrgang 1949, kam nach Jurastudium und Promotion 1980 nach Essen und arbeitete bis zu seiner Pensionierung als Staatsanwalt. Bekannt wurde er mit justizhistorischen Initiativen, die die Aufarbeitung des Unrechts am Landgericht Essen während der NS-Zeit ermöglichten. Auf sein Drängen hin wurde das Ölgemälde des von 1933 bis 1945 amtierenden Präsidenten Paul Heermann nach langem Ringen abgehängt.
Schmalhausen war auch der erste Autor, der eine längere Monografie über das Wirken von Else und Berthold Beitz schreiben konnte, die im Zweiten Weltkrieg zahlreichen Juden das Leben retteten.
Von der elterlichen Reparaturwerkstatt aus wurden regelmäßig Lastkraftwagen der Wehrmacht an die Ostfront gebracht. Mit Hilfe der noch in Essen verbliebenen jüdischen Gemeinde belud Arras einen Wehrmachts-Lkw mit Paketen, die Lebensmittel, Kleidung und Briefe für die nach Izbica deportierten jüdischen Menschen enthielten. Anschließend machte er sich mit dem Lkw auf den Weg in Richtung Ostfront, wobei er den Umweg über Izbica wählte. Nach Zahlung eines hohen Bestechungsgeldes an die Wachmannschaft durfte Christian Arras tatsächlich das Ghetto betreten und den Essenern die mitgebrachten Pakete übergeben. Eine unschätzbare Hilfe für die Menschen, die in Izbica um ihr Überleben kämpften. Auf dem Rückweg nahm Arras zahlreiche Briefe mit nach Essen, darunter einen 18-seitigen Bericht des später ermordeten Ernst Krombach über die Lebensumstände im Ghetto von Izbica. Wäre Arras bei dieser Aktion gefasst worden, wäre er mit Sicherheit in ein Konzentrationslager eingewiesen worden.
Anfangs durften die Juden noch kurze, zensierte Nachrichten nach Essen schicken. Als diese ausblieben und die Sorge um die Deportierten wuchs, machte sich Arras im Dezember 1942 erneut auf den Weg nach Izbica. Doch er traf dort nur noch wenige Juden aus Essen an. Alle anderen waren inzwischen verhungert, den Seuchen zum Opfer gefallen, erschossen oder in die benachbarten Vernichtungslager abtransportiert worden.
Arras warnte Brüder vor Deportation
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Was er in Izbica gesehen hatte, hatte Christian Arras so erschüttert, dass er nach seiner Rückkehr nach Essen sofort die Brüder Hermann und Imo Moszkowicz aufsuchte, deren Mutter ebenfalls nach Izbica deportiert worden war. Er warnte die Brüder, sich auf keinen Fall in den Osten deportieren zu lassen. Vielmehr sollten sie versuchen, aus Deutschland zu fliehen. Doch die Brüder hielten den fremden jungen Mann in der Wehrmachtsuniform für einen Gestapo-Spitzel und Arras ging schließlich kopfschüttelnd davon.
Wenige Monate später wurden die Brüder Moszkowicz ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert. Nur Imo, der später ein international bekannter Schauspieler und Regisseur wurde, überlebte. Auf Christian Arras angesprochen, sagte er: „Arras war ein Held. Ist eigentlich in Essen sein Lied gesungen worden?“ - Bis heute ist Christian Arras in seiner Heimatstadt ein unbesungener Held geblieben, keine Schule und keine Straße wurde nach ihm benannt. Nur der britische Historiker Mark Roseman würdigt in seinem Buch „In einem unbewachten Augenblick“ diesen „stillen Helden“ aus Essen.
Der Essener Christian Arras hat in der NS-Zeit Juden beigestanden. Sein Sohn erinnert sich an den außergewöhnlichen Menschen. Den Artikel finden Sie hier.