Essen. Nach dem Anschlag in Halle fordert der Leiter der Alten Synagoge in Essen, das Problem des Rechtsextremismus nicht kleinzureden.

Eine Woche nach dem Anschlag von Halle mahnt der Leiter der Alten Synagoge, Uri Kaufmann, nicht so schnell zur Tagesordnung überzugehen. Nicht nur weil bei dem antisemitischen Attentat zwei Menschen getötet wurden, sondern auch weil man das dahinter stehende Problem nicht kleinreden dürfe: „Es gibt eine rechtsextreme Szene in diesem Land, der man die Grenzen des Rechtsstaates deutlich aufzeigen muss.“ Ausdrücklich begrüßt Kaufmann die vielen Solidaritätsbekundungen, die die Juden in Essen nun erleben. So wurde nun in der Alten Synagoge ein Erklärung unterzeichnet.

Kaufmann leitet mit der Alten Synagoge kein Gotteshaus, sondern ein städtisches Kulturinstitut. Am Mittwoch vergangener Woche aber saß er als Mitglied der Jüdischen Gemeinde in der neuen Synagoge an der Ruhrallee: An Jom Kippur, dem höchsten jüdischen Feiertag, kommen dort 70 bis 80 Gemeindemitglieder zusammen, mehr als an jedem anderen Tag im Jahr. „Das ist bei uns so wie in Halle, und der Attentäter dort hat das gewusst, hat geplant, möglichst viele Menschen zu töten.“

Die Gemeinde saß ahnungslos zusammen, feierte ihren höchsten Feiertag

Jom Kippur ist ein Feiertag mit einer langen Liturgie, die Gemeinde, die in dieser Zeit fastet, sitzt mit einer Pause den ganzen Tag zusammen betet und feiert, ist abgeschnitten von allem Weltlichen. Uri Kaufmann etwa liest an einem solchen Tag keine Zeitung, hört kein Radio, checkt also auch keine Nachrichten auf dem Smartphone. Erst als der Feiertag mit dem „Anbeißen” – der Einnahme der ersten Mahlzeit – zu Ende geht, informiert der Vorsitzende Jewgenij Budnizkij die Gemeinde über die schlimmen Geschehnisse von Halle. Er bittet die Menschen, die Synagoge nicht in großer Runde, sondern nur jeweils zu zweit oder zu dritt zu verlassen, nicht plaudernd stehenzubleiben, sondern zügig heimzugehen.

Nach dem ersten Schock schleicht sich die Angst in den Alltag

Klassische Sicherheitshinweise seien das, sagt Uri Kaufmann. Und doch: „Da sitzt man schon beklommen zusammen.“ Er hat das schon früher erlebt: den ersten Schock, und die Angst, die sich danach ins Leben schleicht.

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Er erinnert daran, dass auch die Alte Synagoge immer wieder Ziel antisemitischer oder antiisraelischer Aggression wird: Im Jahr 2000 etwa bewarfen palästinensische Demonstranten das Haus mit Steinen, zerstörten zahllose Scheiben und viel Vertrauen. Seither ist die Alte Synagoge mit Panzerglas und Polizeischutz besser gewappnet. Als der Gaza-Konflikt vor fünf Jahren wieder aufflammte, gab es nicht nur nächtliche Pöbeleien und Anschlagsdrohungen von Islamisten – auch eine rechtsextreme Demo war vor dem Gebäude geplant. „Hier ist nicht der Ort, um den Nahostkonflikt auszutragen“, mahnte Kaufmann schon damals.

„Ist eine Religionsgemeinschaft getroffen, so sind wir es alle“

Es habe etwas Beruhigendes, dass die Polizei im Moment nicht nur während der Öffnungszeiten der Ausstellung da ist, sondern rund um die Uhr und auch am Ruhetag. Sonst würde er sich unwohl fühlen, wenn er Montagabend als Letzter das Haus verlasse.

Zu einer Gedenkveranstaltung versammelten sich Essener am Donnerstag, 10. Oktober 2019, vor der Alten Synagoge.
Zu einer Gedenkveranstaltung versammelten sich Essener am Donnerstag, 10. Oktober 2019, vor der Alten Synagoge. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Auch weil dieses Unwohlsein jetzt viele Juden erfasst, lobt Kaufmann ausdrücklich die Solidarität der Mehrheitsgesellschaft – etwa die Mahnwachen der vergangenen Woche. „Es ist ein wichtiges Zeichen, dass die jüdische Gemeinde nicht allein ist.“ Am Sonntag hat der Initiativkreis Religionen in Essen (IRE) in der Alten Synagoge ein solches Signal ausgesendet: Vor der Lesung mit Literatur-Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk unterzeichneten die IRE-Vertreter eine Solidaritätserklärung, in der es heißt: „Ist eine Religionsgemeinschaft getroffen, so sind wir es alle. Wird einer Gemeinschaft Würde, Lebensrecht und Sicherheit abgesprochen, so bedroht es uns alle.“ Darum stelle man sich schützend vor die Jüdische Gemeinde. „Wir empfinden Scham darüber, dass derartige Übergriffe in unserem Land wieder um sich greifen.“

Bischof sichert den jüdischen Gemeinden zu, an ihrer Seite zu stehen

Ähnlich formuliert es Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck in einem Brief an die Juden im Ruhrgebiet: „Es ist unfassbar, dass in Deutschland jüdische Gemeinden Angst haben müssen, Opfer von Gewalt und Terror zu werden.“ Er versichere den jüdischen Gemeinden, dass das Bistum in diesen schweren Zeiten solidarisch an ihrer Seite stehe.