Essen. Die türkische Offensive in Nordsyrien wird auch im fernen Essen zum heiklen Thema. Und nicht nur der OB sorgt sich um die aufgeheizte Stimmung.
Wer redet, schießt nicht, heißt eine diplomatische Devise. Und so bringt man sich derzeit auch in Essen, 4000 Kilometer vom türkisch-kurdischen Schlachtfeld Nordsyrien entfernt, wortgewandt in Stellung: Während der hiesige Generalkonsul Şener Cebeci am Mittwoch die Medien ins Konsulat bat, um die „Operation Friedensquelle“ zu verteidigen, kündigte OB Thomas Kufen schon mal die passende Replik an. Er will beim Empfang des Generalkonsuls in knapp zwei Wochen „Tacheles reden“.
Es ist eine Premiere, auch für den Oberbürgermeister: Obwohl stets auf der Gästeliste, hat er noch nie am alljährlichen Empfang zum türkischen Nationalfeiertag teilgenommen. „Termin-Kollisionen“, hieß es stets – vielleicht auch eine willkommene Ausrede.
Die Gelegenheit zum Grußwort nicht ungenutzt verstreichen lassen
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Diesmal aber will der OB – anders als sein SPD-Herausforderer Oliver Kern und anders als in der Vergangenheit CDU-Chef Matthias Hauer oder Vertreter der Grünen – die Einladung wahrnehmen. Denn Kufen, das hat man ihm versichert, kann ein Grußwort sprechen, und diese Gelegenheit mag das Stadtoberhaupt nicht ungenutzt verstreichen lassen.
Denn während Generalkonsul Şener Cebeci die Militär-Offensive am Mittwoch unmissverständlich als gerechtfertigten Selbstverteidigungs-Einsatz gegen örtliche „Terroristen“ verteidigte, hält Kufen den türkischen Angriff für klar völkerrechtswidrig. Und äußert seine „große Sorge“, dass das seit geraumer Zeit ohnehin schon angespannte Verhältnis zwischen Deutschen und Türken in Essen in eine „weiter aufgeheizte Stimmung“ mündet.
Allein in Essen leben nach Schätzungen rund 5000 bis 6000 Kurden
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Schließlich leben zwischen Karnap und Kettwig nicht weniger als 23.600 Türken, knapp 9000 von ihnen mit einem zusätzlichen deutschen Pass in der Tasche. Hinzu kommen 12.900 Syrer, 7600 Iraker und 5400 Libanesen und unter ihnen allen auch gut und gerne 5000 bis 6000 Kurden. So ganz genau kann selbst Yilmaz Gültekin das nicht sagen, seit fünf Jahren Ratsherr der Essener Linken, selbst Kurde türkischer Abstammung und in diesen Tagen einer der Wortführer bei Kurden-Demos im ganzen Ruhrgebiet.
Gültekin war selber in Herne, wo am Montag der anfangs friedliche Protest in Gewalt ausartete. Er hat dort eine dicke Beule davongetragen und beklagt mehr noch als manche Provokation von Landsleuten die Hilflosigkeit in eigenen Reihen: „Viele haben noch Familie im Kampfgebiet, da kochen die Emotionen hoch.“
„Sie sind beunruhigt, aber dieses Gefühl ist ja nicht neu“
Das weiß auch die Polizei, die nach inzwischen drei Demos auf dem Willy-Brandt-Platz mit jeweils bis zu 1000 Teilnehmern zwar noch „keine besonderen Vorkommnisse“ melden musste, die aber sehr wohl gespürt hat, wie die Stimmung zuletzt „etwas emotionaler“ wurde. Eine Folge: Vor dem türkischen Generalkonsulat Am Zehnthof in Kray hat die Polizei nach Angaben dort beschäftigter Mitarbeiter nicht mehr nur tagsüber ein waches Auge, sondern neuerdings auch nachts.
Das sei das Mindeste, meint auch Generalkonsul Şener Cebeci, der immerhin für rund 220.000 türkische Bürger und deutsche Staatsbürger mit türkischer Abstammung in Essen, Mülheim und im Regierungsbezirk Arnsberg zuständig ist: Die seien vielfach „beunruhigt, aber dieses Gefühl ist ja nicht neu“. Ein hörbarer Vorwurf an die Polizei, „nicht genügend Sicherheitsmaßnahmen“ vorbereitet zu haben.
„Verhindern, dass solche Konflikte hierhin transportiert werden“
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Diese gefühlte oder tatsächliche Unsicherheit in Essen, im Ruhrgebiet und anderswo könnte auch noch länger andauern: Laut Generalkonsul Cebeci soll die Militär-Offensive in Nordsyrien andauern, bis die Region keine „Terroristen“ der Kurden-Miliz YPG mehr beherberge.
Derweil ist Yilmaz Gültekin wieder eine Demo weiter: Im Netzwerk Facebook zeigte er am Mittwochabend ein Video von Türken, die das Symbol der rechtsextremistischen Grauen Wölfe zeigen. „Wir müssen verhindern, dass solche Konflikte hierhin transportiert werden“, warnt der CDU-Bundestagsabgeordnete Matthias Hauer noch eindringlich, aber dafür ist es womöglich schon zu spät.