Essen. Kultbild und bedeutendes Kunstwerk: Sonderausstellung über „Essen sein Schatz“ zeigt die berühmte Marienfigur aus unterschiedlichen Perspektiven.
Am Tag ihrer Inthronisation stehen die Menschen vor dem Essener Dom Schlange. Alles für nur einen Blick auf die Goldene Madonna. Zur Messe mit Kardinal Hengsbach strömen 10.000 Menschen in die Grugahalle, sogar der Rundfunk überträgt die Feierlichkeiten. 60 Jahre ist es nun her, dass der damalige Papst Johannes XXIII. Maria, die „Mutter vom Guten Rat“ zur Patronin des Bistums Essen erklärt hat.
Dass sich die Zeiten seither gründlich geändert haben, stimmt Dompropst Thomas Zander einerseits besorgt, aber auch hoffnungsvoll, „dass es mit Kirche und Glauben weiter geht“. 60 Jahre sind schließlich nur ein Wimpernschlag in der 1000-jährigen Geschichte dieser einzigartigen Muttergottesstatue, der ältesten vollplastischen Marienfigur der Welt. Und weil sie nicht nur eines der wichtigsten Kunstwerke des Ruhrgebiets ist, sondern vor allem „Essen sein Schatz“, widmet ihr der Domschatz zum 60-jährigen Dasein als Schutzpatronin nun eine Sonderausstellung.
Einen Umzug hat man der kostbaren, mit Goldblech belegten Pappelholz-Skulptur aus dem 10. Jahrhundert allerdings nicht zugemutet, dafür fand ihr „Double“ Platz in den Domschatzkammer-Räumen, wo Objekte der Sonder- und Dauerausstellung wie das Mathilden-Kreuz und der Buchdeckel des Theophanu-Evangeliars in den kommenden Monaten wirkungsvoll in Beziehung gesetzt werden. Das mit Goldlack überzogene, täuschend echt geformte Styropor-Imitat aus dem Aalto-Theater stammt aus einer „Jesus Christ Superstar“-Inszenierung und hatte immerhin 44 Bühnenauftritte.
Das Life-Magazine widmet der Goldenen Madonna eine Doppelseite
Die echte Goldene Madonna ist weiterhin dort zu bewundern, wo Bischof Franz Hengsbach sie am 11. Oktober 1959 persönlich hingetragen hat: In der klimatisierten und hoch gesicherten Seitenkapelle des Doms, wo sie von Zigtausenden Gästen besucht und verehrt wird, von Gläubigen, Touristen wie Kunstfreunden. Kein Wunder also, dass die Ausstellung Essens „Goldene Madonna“ als Kultbild und Kunstwerk vorstellt, das nach seiner vorsorglichen Evakuierung während des Zweiten Weltkriegs zeitweilig auch eine Museums-Karriere machte. Das Brüsseler Palais des Beaux-Arts und das Amsterdamer Rijksmuseum zeigten die Goldene Madonna 1949. Sogar das amerikanische Life-Magazine widmete der Figur mit den blauleuchtenden Augen 1957 eine Doppelseite. Seither ist ihre Popularität ungebrochen.
Buchcover-Motiv, Panini-Sammelbildchen, Stempel-Figur – die Goldene Madonna hat in ihrer 1000-jährigen Geschichte immer wieder auch eine ganz lebensnahe Verwendung gefunden. Und so fächert diese Sonderschau die Geschichte der kostbaren Bistumspatronin aus vielfältiger kulturhistorischer Perspektive auf.
Verehrt, verändert und als Vorbild – für jene zierliche Elfenbeinmadonna aus dem 13. Jahrhundert beispielsweise, die als Geschenk der Elisabeth-Schwestern an den Domschatz kam. Es gehe vor allem darum, „was andere Menschen aus und mit der Goldenen Madonna gemacht haben“, erklärt Domschatzkammer-Chefin Andrea Wegener.
Auch die Liste ihrer Besucher liest sich hochkarätig - von Bertha Krupp über Bundespräsident Karl Heinrich Lübke bis zu Bundeskanzlerin Angela Merkel. Manche brachten dem Gnadenbild sogar kostbare Geschenke mit – die vergoldete und ziselierte Adlerbrosche aus dem 13. Jahrhundert und das Medaillon mit der kleinen silbervergoldeten Muttergottesfigur, die sonst die Brust der Muttergottes schmücken, wurden für die Ausstellung eigens in einer Vitrine platziert.
Auch der extra angefertigte goldene Bügel, auf dem die Essener Krone einmal im Jahr zur feierlichen Krönung der Madonna befestigt wurde, ist zu sehen. Die Zeremonie wurde erst im Jahr 2000 beendet, um die Kunstwerke nicht weiteren Gefahren auszusetzen, berichtet Andrea Wegener.
So scheint es manchem heute fast wie ein Wunder, dass diese gerade mal 74 Zentimeter große, ursprünglich als Prozessionsbild genutzte Figur mit ihren 116 dünnen Goldblechen die 1000 Jahre trotz aller Bewegungen, historisch und physisch vergleichsweise unbeschadet überstanden hat. Gefeiert wird deshalb nicht nur das 60-jährige Bestehen der Bistumspatronin, sondern ein Wahrzeichen Essens, dessen Geschichte schon viel länger dauert als die von Kohle und Stahl.