Essen. Vom Raum zum Licht: Jens J. Meyer zeigt die Essenz seiner Arbeit in einem Buch. Schwebende Kunst ist in aller Welt von China bis Kanada zu sehen

Ein „Temple of Light“ auf einer Waldlichtung in China, ein „Schwebendes Archiv“ in der Hamburger Hafencity, der „Lichtkeil“ im Kunstmuseum Gelsenkirchen: Die skulpturalen Installationen von Jens J. Meyer sind in der ganzen Welt zu sehen. Kaum ein Kontinent, auf dem der Essener Künstler nicht schon seine freischwebenden Werke aus Tuchelementen hinterlassen hat. Zumeist sind es Arbeiten auf Zeit. Und deshalb hat Meyer nun auch ein Buch herausgebracht: „Vom Raum zum Licht“. Es ist die Bilanz von mehr als 20 Jahren, aber auch eine Einstimmung auf das, was in den nächsten Jahren noch alles kommen kann. Wer den Bildhauer persönlich kennenlernen will, ist im Rahmen der Kunstspur am Sonntag, 29. September, ins Horster Atelier am Breloher Steig 5 (15-19 Uhr) eingeladen.

Der „Temple of Light“ entstand mitten im Wald in China. 
Der „Temple of Light“ entstand mitten im Wald in China.  © Jens J. Meyer

Das Hinterhof-Atelier mit seinem schroffen Charme hat etwas, was Meyer braucht: ganz viel Licht. In Wisconsin hat es Schattenspiele auf einen „Tornado“ aus dynamisch aufstrebenden Stoffspiralen geworfen und den „Dome of Light“ im Garten des Kunsthauses Dosse Park aus nichts als freischwebenden Tuchelementen geformt.

Die Essener kennen Jens J. Meyer vor allem durch seine GRowEEN-Aktion von 2017. Im Jahr der Grünen Hauptstadt Europas machte Meyer die Volkshochschule zur leuchtenden Glas-Skulptur inklusive wuchernder Grünpflanzen auf allen Etagen. Zur zweiten Heimat wurde ihm die Stadt schon viel früher. 1992 hat der gebürtige Hamburger hier seine erste ortsbezogene Installation gezeigt. Der „Baum-Raum“ entstand während eines Stipendiums im Borbecker Schlosspark. Plötzlich war sie da, die Idee, einen nicht umbauten oder definierten Ort mit Hilfe von Tuch und Tauwerk zu formen, wahrnehmbar zu machen.

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In die Erprobung seines Arbeitsmaterials hat Meyer seither viel Ehrgeiz gesteckt. Flexible Materialien wie Polyester, Polyamide, Teflon und andere dehnbare Stoffe aus der Strickindustrie werden immer wieder auf ihre Transparenz und UV-Beständigkeit geprüft. Geschnürt, gedehnt und nach einem ausgeklügelten System gespannt, ergeben sie schließlich „Raumskulpturen“ von einer faszinierenden Leichtigkeit, die ihre Wirkung mitten in der Natur ebenso entfalten wie in Kunstmuseen oder Kirchen.

Ein Buch mit Videoclips

Das Buch „Vom Raum zum Licht“ ist im Verlag ff publishers erschienen und dokumentiert 43 Projekte auf 192 Seiten. Neun Videoclips sind über QR-Codes eingebunden. Es kostet 42 Euro.

Neben den 122 Abbildungen gibt es verschiedene Textbeiträge, unter anderem von Leane Schäfer, Christine Vogt, Alexander Klar und ein Künstlergespräch mit Ariane Hackstein.

In der Wattenscheider Kirche Maria Magdalena ist Meyers bis zu zwölf Meter hohe Installation „Chuppa Magna“ ein Anziehungspunkt geworden, der nicht nur Gottesdienst-Besucher fasziniert. Der Raum passt zu dem, was der gebürtige Hamburger mit seiner Kunst auch erreichen will: Orte der Kontemplation und Aufmerksamkeit zu schaffen.

Die VHS als Leucht-Skulptur: „GRowEEN“ war Meyers Beitrag zur Grünen Hauptstadt Europas 2017.
Die VHS als Leucht-Skulptur: „GRowEEN“ war Meyers Beitrag zur Grünen Hauptstadt Europas 2017. © Jochen Tack

Die Konzentration auf das Wesentliche, sie hat den passionierten Segler auch zu seinem Projekt „trans art lantico“ geführt. Ein Jahr lang ist Jens J. Meyer mit seinem Segelschiff von Hamburg nach Buenos Aires über den Atlantik gekreuzt. Die Eindrücke, die er auf der langen Reise gesammelt hat, sind nicht nur im Kopf geblieben, sondern haben zu einer neuen Beschäftigung mit Videoprojektionen geführt, die Meyer nun aufs Tuch projiziert. Bilder, die keine geschlossene Geschichte erzählen wollen, sondern ebenso offen und durchlässig sind wie die Kunst und buchstäblich zum sinnlichen Eintauchen einladen. Kostproben dieser neuen Videokunst, die man mittels QR-Code abrufen kann, hat Meyer auch dem Katalog als visuelle Zugabe beigefügt.

So wird festgehalten, was nicht für die Ewigkeit gedacht ist. Selbst Kunst, die Kirchenschiffe in erhabene Installationsräume verwandelt, passt hinterher in eine große Leinentasche. Was leicht daherkommt, ist dabei freilich schwer erarbeitet. Das Modell für die Installation „Cowcatcher“ im Museum Wiesbaden steht noch in Meyers Werkstatt. Der Puppenstuben-Nachbau der riesigen Wandelhalle zeigt, wie ausgeklügelt geschnürt, gespannt und gedehnt die Tuchwerke sind. Da hilft es, dass der Künstler auch eine Ingenieursausbildung hat, Intuition und Konstruktionsgeschick Hand in Hand gehen. So spannen sich die „Balanceflügel“ wie fliegende Objekte unter dem barocken Deckengemälde der Bibliothek im Kloster Schussenried, während die „Schwebebrücke“ in der Messe Leipzig zur textilen Verbindung wird.

Meyers Installationen bleiben zeitlich begrenzte Wahrnehmungsschärfer, die sich nicht einfach von Ort zu Ort bewegen und in Vitrinen oder Holzrahmen packen lassen. Mit der temporären Erscheinung hat Meyer kein Problem: „Durch die zeitlich begrenzte Dauer wird der Ort zweimal neu wahrgenommen. „Erst durch die Installation und dann durch den Abbau, wenn der Ort „leerer“ ist als vorher.“