Essen. Sie arbeiten unsichtbar, gehetzt und schlecht bezahlt: Auch in Essen streiken Gebäudereiniger nun für Anerkennung und bessere Arbeitsbedingungen.

Corinna Brauer hat die Entwicklung in Gebäudereiniger-Branche seit Jahrzehnten beobachtet und erst nach und nach realisiert, dass es kein Zufall ist, wenn sie und ihre Kolleginnen ihre Arbeit immer schneller, immer gehetzter erledigen müssen. „Nein, das hat Methode.“ Darum ist die 51-Jährige vor fünf Jahren Mitglied der IG Bau geworden und beteiligt sich an diesem Donnerstag am Warnstreik, zu dem die Gewerkschaft aufgerufen hat.

Möge der Mindestlohn von aktuell 10,56 Euro auch nicht so schlecht klingen, die Arbeitgeber betrieben ihr Dumping ja nicht über den Lohn, sondern über das Streichen von Überstundenzuschlägen oder den wachsenden Arbeitsumfang. Corinna Brauer etwa arbeitet seit drei Jahren für die Essener Firma Weber und ist in deren Auftrag bei der Feuerwehr in Mülheim eingesetzt. Ein Gebäude, das heute von halb so vielen Kräften gereinigt wird wie zu Beginn ihres Einsatzes.

Kämpft für die Rechte der Gebäudereiniger: Corinna Brauer (51) ist Vorarbeiterin und arbeitet im Auftrag einer Essener Reinigungsfirma für die Feuerwehr Mülheim.
Kämpft für die Rechte der Gebäudereiniger: Corinna Brauer (51) ist Vorarbeiterin und arbeitet im Auftrag einer Essener Reinigungsfirma für die Feuerwehr Mülheim. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Ganz ähnlich werde überall in der Branche vorgegangen, bestätigt IG Bau-Regionalleiterin Antonia Kühn. Den Verwaltungen, Unternehmen, Geschäften oder Städten, die die Reinigungsfirmen beauftragten, sei oft nicht mal klar, dass dieselbe Leistung von immer weniger Kräften immer schneller erbracht werden müsse. „Acht Minuten hat eine Gebäudereinigerin, um ein Klassenzimmer zu putzen, und nur drei, um das Bad in einem Krankenhauszimmer zu reinigen.“

Von einem Putzjob kann man nicht leben

Andernorts würden zehn Minuten für ein großes Büro angesetzt, doch es gibt keine Minute mehr, wenn in dem Raum plötzlich vier weitere Schreibtische stehen und noch drei Papierkörbe mehr zu leeren sind, ergänzt Corinna Brauer. Oder die Rüstzeiten vor und nach der Arbeit – das Umziehen, Bestücken des Wagens mit Putzzeug – werde nicht berücksichtigt: „Bezahlt wird erst, wenn Du mit dem Lappen in der Hand loslegst.“http://funke-cms.abendblatt.de:8080/webservice/thumbnail/article/227184279

Corinna Brauer ist Vorarbeiterin und selbstbewusst, trotzdem können sie und ihre Kolleginnen ihre Rechte im Arbeitsalltag oft nicht durchsetzen: „Wir sollen von sechs bis zehn Uhr putzen, doch die Zeit reicht nicht. Wenn dann noch zu wenige Kolleginnen im Einsatz sind, müssen wir zwischen drei und fünf Uhr morgens anfangen.“ Nach hinten lasse sich die Arbeitszeit nicht verschieben, weil die Frauen in der Regel noch Anschlussjobs haben, „denn von einem Reinigungsjob kann man nicht leben“.

Viele Frauen putzen morgens Büros, nachmittags Treppenhäuser – und abends eine Kita

Sie und ihre Kolleginnen haben – zäh ausgehandelt – immerhin vier Stunden Arbeitszeit, viele Firmen beschäftigen die Frauen nur zwei Stunden am Tag. „Das ist der Untergang. Typisch ist, dass die Frauen morgens früh Büros putzen, tagsüber an anderer Stelle Treppenhäuser machen und abends noch eine Kita oder Schule. Und manche pendeln dabei noch zwischen verschiedenen Städten.“

Im vergangenen Jahr hat die IG Bau eine Umfrage unter Gebäudereinigerinnen gemacht, demnach wolle der Großteil von ihnen 30 Stunden in der Woche arbeiten, tatsächlich hätten die meisten aber weniger als 20 Wochenstunden, sagt Regionalleiterin Antonia Kühn. Das liege auch an den schlechteren Konditionen für Mitarbeiter in Teilzeit. Und kaum habe das Bundesarbeitsgericht auch Teilzeitkräften die Überstundenzuschläge zugesprochen, hätten die Arbeitgeber im Juli den Rahmentarifvertrag gekündigt. Auch darum drehen sich die laufenden Verhandlungen, in denen der Streik nun den Druck auf die Arbeitgeber erhöhen soll.

Reinigungskräfte kommen krank zur Arbeit, um die Kolleginnen nicht im Stich zu lassen

Druck, den die Frauen in der Branche ständig spüren: „Manche kriegen schon Panik, weil sie einen Eimer vergessen haben, zurücklaufen müssen und ein paar Minuten Zeit verlieren. Andere kommen sogar krank zur Arbeit, weil sie Angst vorm Chef haben – oder die Kolleginnen nicht im Stich lassen wollen“, sagt Corinna Brauer. Überhaupt hätten viele ein großes soziales Gewissen: „Die machen abends noch eine halbe Stunde mehr im Altenheim, weil sie denken: Es könnte auch meine Mutter sein, die in einem ungeputzten Zimmer zurückbleibt.“ Eine andere mache täglich drei Überstunden an der Uni: „Ihr Sohn studiert da, und niemand soll denken, dass seine Mutter nicht gründlich sauber macht.“

Die Feuerwehr Mülheim als öffentlicher Arbeitgeber biete den Reinigungskräften einen gewissen Schutz, schaue drauf, wer wie für sie arbeitet, betont Corinna Brauer. Andernorts blieben die Frauen unsichtbar, eilten frühmorgens von ihrer Putzschicht zur Bushaltestelle, wo sie um diese Zeit oft lange auf den nächsten Bus warten müssen. Sie habe mal eine Kollegin abgeworben: „Die hat geweint, als sie hier gegrüßt wurde, und dann hat sie gefragt: ,Darf ich auch grüßen?“

Eine Putzfrau mit Burnout? Wer die Arbeitsbedingungen kennt, wundert sich nicht

Am Donnerstag ließen Reinigungskräfte in Essen, Mülheim und Oberhausen Schulen, Energieversorger und Verwaltungsgebäude ungeputzt und zogen stattdessen durch die Essener Innenstadt: Sie hätten ermunternde Worte von Passanten gehört, hochgestreckte Daumen gesehen. Viele der Betroffenen fürchten einen langen Arbeitskampf, sie brauchen ihre Jobs. Doch die Gewerkschaft sieht die Frauen in einer guten Verhandlungsposition: Die Reinigungsbranche mache gute Gewinne und suche Fachkräfte, sagt Antonia Kühn von der IG Bau.

Der Job sei körperlich anstrengend, müsse unter hohem Zeitdruck erledigt werden und berühre auch – Stichwort Desinfektion – Sicherheitsfragen, sagt Corinna Brauer. Vor Jahren habe sie mal gehört, dass eine Reinigungskraft mit Burnout zusammenbrach. Damals habe sie sich gewundert. „Heute verstehe ich das.“