Essen. Mitte Juni erschoss ein Polizist in Altendorf den 32-jährigen Adel B., nun wird das Verfahren eingestellt: Die Ermittler gehen von Notwehr aus.
Für Freunde und Familie war die Sache schon seit langem klar: „Das war Mord!“ So hatten sie es wütend bei einer Demo durch Altendorf skandiert – dort, wo der 32-jährige Deutsch-Algerier Adel B. am frühen Morgen des 18. Juni von einem Polizisten erschossen wurde. Die Ermittler der Staatsanwaltschaft sehen das gänzlich anders: Sie haben nach dreimonatigen Ermittlungen jetzt das Verfahren gegen den 27-jährigen Schützen eingestellt. Überzeugt davon: „Das war Notwehr.“
305 Js 242/19 – unter diesem Aktenzeichen hatte die Staatsanwaltschaft gegen den jungen Polizisten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Totschlags eingeleitet. Und es nun mit Verweis auf Notwehr eingestellt: „Wir gehen davon aus, dass der Beschuldigte schoss, um eine gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben einer Kollegin abzuwenden“, so formuliert es die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Oberstaatsanwältin Anette Milk.
Polizistin bekam von der Messer-Fuchtelei nichts mit
Zugrunde liegen dieser Entscheidung vor allem die Aussagen der beteiligten Polizisten. Eine von ihnen hatte mit einem wuchtigen Tritt versucht, die Tür zum Wohnhaus an der Drügeshofstraße offenzuhalten. Zwei Kollegen stürmten hinzu, und weil Adel B. nach deren Aussagen – obwohl hinter der Tür stehend – mit dem Messer durch den Türspalt fuchtelte, gab einer von ihnen einen Schuss ab. Der traf den 32-Jährigen tödlich in der Brust.
Warum die vermeintlich angegriffene Polizistin nicht selber schoss? Sie bekam die Messer-Fuchtelei gar nicht mit, heißt es, weil sie sich in gebückter Haltung befunden habe. „Das Ganze hat sich zudem in Bruchteilen von Sekunden abgespielt“, gibt Oberstaatsanwältin Milk zu bedenken.
Einsatz von Pfefferspray fänden auch Ermittler risikoreich
Ob zuvor nicht auch der Einsatz von Pfefferspray genügt hätte, um das aufgekratzte spätere Opfer kampfunfähig zu machen? Diese Frage hatten die Rechtsanwälte der Mutter wie auch des Vaters von Adel B. aufgeworfen und den Polizisten einen „völlig unverhältnismäßigen“ Einsatz vorgeworfen. Auch dass man so lange auf das Sondereinsatzkommando habe warten müssen, ja, dass man sogar einen Hundeführer aus Köln bestellt hatte, wo doch auch in Essen allerlei Polizisten mit Hunden verfügbar sind, löste mehr als nur Befremden aus.
Zumindest auf die Frage nach dem Pfefferspray geht auch die Einstellungsverfügung ein: Danach hätten die Polizisten bis zu der brenzligen Situation an der Haustür schon zur Eigensicherung einen Sicherheitsabstand von sieben Metern wahren müssen. Man hätte Adel B. deshalb kaum gefahrlos überwältigen können – zumal „schwer einzuschätzen“ sei, wie Pfefferspray bei alkoholisierten oder unter Drogeneinfluss stehenden Menschen wirkt. Adel B. war regelmäßiger Kokain-Konsument, das könne in solch einem Fall auch aufputschend wirken.
Erst die Beschwerde, dann die „Klageerzwingung“
Dass sich die Angehörigen sich mit dieser Schilderung nicht zufrieden geben werden, haben sie in den vergangenen Wochen über ihre Anwälte schon angedeutet. Das Misstrauen gründet tief, seit das von einem Nachbarn gedrehte Handy-Video der dramatischen Ereignisse die Runde macht.
Der 47-sekündige Filmschnipsel dokumentiert die entscheidenden Sekunden – und widerlegt komplett die bis dahin unkorrigierte Darstellung der Polizei von den Geschehnissen. Denn nicht das Opfer war auf die Polizisten losgegangen, wie behauptet, sondern diese stürmten auf Adel B. zu. Dennoch: Die Ermittler hatten nicht über mediale Pannen als vielmehr über die Schuldfrage auf Seiten des Schützen zu entscheiden. Und da überwog offensichtlich der Notwehr-Gedanke.
Dass die Staatsanwaltschaft die Akte schließen will, könnte eine letzte juristische Runde einläuten. Den Anwälten der Eltern des Opfers steht nun die Möglichkeit offen, eine „Einstellungsbeschwerde“ einzulegen. Hätte die weder bei der örtlichen Staatsanwaltschaft noch bei der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm Erfolg, bliebe noch der Weg, ein „Klageerzwingungsverfahren“ beim Oberlandesgericht in Hamm anzustrengen. „Dass dies Erfolg hat“, so weiß Oberstaatsanwältin Milk aus Erfahrung, sei aber „extrem selten“.