Essen. Seit einer Woche gehören E-Scooter zum Straßenbild. Die kleinen Flitzer machen neugierig. Doch für Nutzer gibt es noch einiges zu verbessern

Es dürfte 40 Jahre her sein, dass er zum letzten Mal Roller gefahren ist, erzählt Ulli König und lächelt. Damals handelte es sich um einen Tretroller. An diesem Mittwoch nutzt der 51-Jährige gemeinsam mit seinem Arbeitskollegen Jens Sikorski die neuen E-Scooter für einen Abstecher in die Innenstadt in der Mittagspause. Und? „Zu Fuß brauchen wir 20 Minuten. Mit dem E-Scooter geht das natürlich schneller und außerdem ist der Spaßfaktor viel höher“, lautet das Fazit der beiden, bevor sie nach einem kurzen Zwischenstopp am Willy-Brandt-Platz davon brausen. Es dürfte nicht die letzte Roller-Tour der beiden gewesen sein. Auch wenn, so der erste Eindruck, es noch einiges zu verbessern gibt.

Seit einer Woche gehören die schwarz-weiß-grüner Flitzer zum Straßenbild. 150 E-Scooter hat der Rollerverleiher Lime in Essen aufgestellt. Und das ist nur der Anfang. Schon bald dürften weitere Mietroller hinzu kommen. Lime will seine Roller-Flotte ausbauen. Mit dem Konkurrenten „Tier“ steht ein weiterer Anbieter in den Startlöchern. Eine entsprechende Vereinbarung hat die Stadt Essen mit dem Unternehmen bereits geschlossen. Mit drei weiteren Verleihern sei man im Gespräch, heißt es im Rathaus.

Die meisten Rollerfahrer sind ohne Helm unterwegs

Noch ziehen E-Scooter neugierige Blicke auf sich. Nicht nur gucken, anfassen ist ausdrücklich erlaubt. Ein „Brand Ambassador“ erklärt interessierten Passanten, wie die Roller funktionieren. Das Interesse sei groß, berichtet der Marken-Botschafter, der Leuchtweste und Helm trägt – als gut gemeinter Rat, nicht „oben ohne“ los zu rollern. Sicher ist sicher. Eine Helmpflicht besteht aber nicht. Geschätzte 99,9 Prozent der Rollerfahrer tragen bislang keinen.

Das Fahren ist kinderleicht: Jasmin Bach (22) und Sebastian Viehöfer (36) testen E-Scooter in der Innenstadt.
Das Fahren ist kinderleicht: Jasmin Bach (22) und Sebastian Viehöfer (36) testen E-Scooter in der Innenstadt. © Foto: Kerstin Kokoska

Das Fahren selbst ist kinderleicht. Vorausgesetzt, es ist einem gelungen, den am Roller angebrachten QR-Code trotz gleißenden Sonnenlichts mit dem Smartphone über die Lime-App einzulesen. Freies W-Lan, an dem die Stadt noch herumdoktert, wäre hilfreich. Ausreichend Datenvolumen ist jedenfalls ein Muss.

Der Rest ist erst einmal pures Vergnügen. Mit einem kleinen Hebel an der Lenkstange lässt sich der Scooter leicht auf 20 km/h beschleunigen. Mehr geht nicht. Doch das ist schnell genug, um im Verkehr mitzuschwimmen. Es sei denn, ein parkendes Auto blockiert den Radweg, den Rollerfahrer benützen müssen. Als solcher lernt man schnell die Widrigkeiten kennen, mit denen Radfahrer in dieser Stadt zu kämpfen haben. Die Verlockung, auf den Bürgersteig auszuweichen, ist offenbar groß, was sich bereits beobachten lässt. Erlaubt ist das nicht.

Vor dem Limbecker Platz brausen die Scooter über den Gehweg

Warum Lime seine Roller dennoch unter anderem auf dem Gehweg vor dem Einkaufszentrum am Berliner Platz platziert, darüber dürfte nicht nur Jens Broehenhorst rätseln. Auch er nutzte die Mittagspause am Mittwoch für eine kurze Spritztour mit einem E-Scooter. Vor dem Limbecker Platz brausen Rollerfahrer immer wieder über den Fußgängerweg.

Der Limbecker Platz liegt am Rande der von der Stadt definierten Sperrzone, in der das Rollerfahren verboten ist. Es handelt sich vor allem um die Fußgängerzone; nur die für Radfahrer freigegebenen Straßen durch die Innenstadt sind davon ausgenommen. Auf der Karte, welche die Stadt im Internet veröffentlicht hat, gilt das auch für das Uni-Viertel zwischen Berliner und Rheinischen Platz. Auf der Lime-App ist das Uni-Viertel aber in Rot als Sperrgebiet markiert. Wer hinein rollert, riskiert ein Bußgeld.

E-Scooter am Willy-Brandt-Platz. Die Fußgängerzone ist mit Ausnahme der Radwege aber Sperrgebiet für Rollerfahrer.
E-Scooter am Willy-Brandt-Platz. Die Fußgängerzone ist mit Ausnahme der Radwege aber Sperrgebiet für Rollerfahrer. © Foto: Kerstin Kokoska

Dass dies so manchen E-Scooter-Fahrer augenscheinlich kalt lässt, mag daran liegen, dass er gar nicht bemerkt, wann er sich im Sperrgebiet befindet. Das Display am Roller gibt weder ein Signal, noch verlangsamt der automatisch seine Geschwindigkeit, was technisch möglich wäre. Nur nach der Fahrt entsperren lässt sich der Roller im Sperrgebiet nicht, wie ein Selbstversuch zeigte.

Gedacht sind die E-Scooter vor allem für kurze Strecken

Gedacht sind Scooter vor allem für kurze Strecken, für die „letzten Meter“ von der U-Bahn zum Arbeitsplatz zum Beispiel. Ob dies dazu animiert, das eigene Auto eher auch mal stehen zu lassen, wird sich zeigen. Eine Alternative dürfte der E-Roller dem ersten Eindruck nach in erster Linie für Wege sein, die man sonst zu Fuß zurücklegen muss. Ob der Scooter auch ein Beitrag ist für die politisch oft beschworene Verkehrswende, bleibt die Frage.

Voller dürfte es in absehbarer Zeit wohl werden auf Radwegen und Straßen der Stadt. Auch wenn sich der Wirkungskreis der Scooter erst einmal auf die Innenstadt sowie auf das Nord-, West-, Süd- und Ostviertel beschränkt. Darüber hinaus lässt sich zwar rollern, nur sperren lassen sich die Scooter nach Fahrtende nicht. Ein Abstecher zum Beispiel zum Mittagessen nach Rüttenscheid könnte deshalb teuer werden, denn Uhr und Kosten laufen weiter. Dass der „Szene-Stadtteil“ außerhalb des Wirkungskreises liegt, sei bedauerlich, findet Jens Broehenhorst. Es ist sicher eine Schwäche des Leihsystems, aber auch das mag sich bald ändern.

Auch interessant

Unfälle mit E-Scootern verzeichnete die Essener Polizei nach Angaben eines Sprechers bislang nicht, will aber in der kommenden Woche verstärkt kontrollieren, ob sich Rollerfahrer auch an die Verkehrsregeln halten. Bedarf für ein Sicherheitstraining, wie es Lime angekündigt hat, sieht die örtliche Verkehrswacht nach den Worten ihres Vorsitzenden Volker Webels nicht. Auch das dürfte sich ändern, sollten die Unfallzahlen wie in anderen Städten erst einmal steigen.

Das Ordnungsamt will ein Auge auf die Leihroller werfen, damit kaputte Fahrzeuge gar nicht erst in der Gegend rumliegen oder im nächsten Gewässer entsorgt werden, wie andernorts geschehen. „Aus der Ruhr mussten wir noch keinen Roller ziehen“, sagt Stadtsprecherin Silke Lenz. Muss auch nicht sein.