Essen. Die Arbeitsagentur setzt dem Fachkräftemangel eine Qualifizierungsoffensive entgegen, wie das Beispiel der Katholischen Pflegehilfe Essen zeigt.

Die Arbeitsagentur Essen hat eine Qualifizierungsoffensive gestartet und wirbt für mehr Weiterbildung in den Betrieben. Doch noch nutzen erst verhältnismäßig wenige Unternehmen bzw. Arbeitnehmer in Essen das Anfang des Jahres gestartete Qualifizierungschancengesetz, das der Bund aufgelegt hat. Aktuell fördert die Arbeitsagentur 87 Beschäftigte, die bei laufendem Job eine Weiterbildung absolvieren. Mit dem Start sei sie zwar zufrieden, sagte die Chefin der Arbeitsagentur Essen, Andrea Demler. Allerdings biete dieses Gesetz noch sehr vielmehr Möglichkeiten als die jetzt bestehenden.

Der Begriff Qualifizierungschancengesetz ist sperrig. Es soll Unternehmen helfen, ihre Belegschaft fit für den technologischen Wandel zu machen und einem Fachkräftemangel vorzubeugen, indem sie sich ihre Fachkräfte aus den eigenen Reihen heranbilden. Dafür hat der Bund Firmen wie Beschäftigten ein „Rund-um-Sorglos“-Paket geschnürt. Will beispielsweise ein ungelernter Arbeiter im Betrieb seine Ausbildung nachholen, kann er das ohne große finanzielle Einbußen tun. Die Arbeitsagentur übernimmt die Ausbildungskosten als auch einen Großteil der Lohnlücke, die für diese Zeit entsteht. Die Beschäftigten müssen somit keine existenziellen Einschnitte befürchten.

Katholische Pflegehilfe Essen bildet mit Hilfe des Qualifizierungschancengesetzes aus den eigenen Reihen aus

„Für die meisten ist das das K.o.-Kriterium, warum sie sich gegen eine Qualifizierung entscheiden“, sagt Markus Kampling aus Erfahrung als Arbeitgeber. Kampling ist Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Katholischen Pflegehilfe Essen und ständig auf der Suche nach qualifizierten Kräften in der Altenpflege. Aber der Markt examinierter Altenpfleger in Essen ist leer gefegt. „Im Helferbereich können wir noch vermitteln“, sagt Arbeitsagenturchefin Demler. „Aber bei examinierten Pflegekräften kann ich nicht liefern.“

Andrea Demler, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Essen, und Markus Kampling, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Katholischen Pflegehilfe.
Andrea Demler, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Essen, und Markus Kampling, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Katholischen Pflegehilfe. © FUNKE Foto Services | Vladimir Wegener

Deshalb muss Kampling umdenken. Die Katholische Pflegehilfe sucht seit längerem verstärkt in den eigenen Mitarbeiterreihen, wer Interesse an einer Ausbildung zum Altenpfleger hat. Die Qualifizierungsoffensive der Arbeitsagentur kommt für die Pflegehilfe daher gerade richtig, um Mitarbeitern eine Weiterbildung schmackhaft zu machen und deren Bedenken abzubauen.

Bei Sabrina Gwozdz hat das funktioniert. Die 38-Jährige war ursprünglich Filialleiterin bei Schlecker gewesen und musste sich nach der Insolvenz der Drogeriekette neu orientieren. Sie begann in einer Sozialstation zu arbeiten und war dort als Ungelernte im hauswirtschaftlichen Bereich tätig. Die Katholische Pflegehilfe übernahm wenig später diese Station und Sabrina Gwozdz fiel den Verantwortlichen auf. Die Pflegedienstleitung habe sie schließlich gefragt: „Willst du dich nicht weiter entwickeln?“

Pflege-Beschäftigte haben keine existenziellen Einbußen

Vor zwei Jahren hat sie sich dann tatsächlich entschieden, nochmal die Schulbank zu drücken. „Als man auf mich zukam, hatte ich noch große Bedenken - sich mit über 35 noch mal hinzusetzen und lernen. Schaffe ich das?“ Sabrina Gwozdz ist außerdem alleinerziehend und hat zwei Kinder. „Finanzielle Einbußen kann ich mir nicht leisten.“ Erst nach einem Gespräch mit der Arbeitsagentur und der Personalleitung wurden ihr die Ängste genommen. Denn die Arbeitsagentur und zum Teil auch der Arbeitgeber bessern ihr das deutlich geringere Ausbildungsgehalt bis zu den früheren Bezügen auf.

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Wenn Sabrina Gwozdz die Ausbildung abgeschlossen hat, dann hat sie nicht nur ihren Arbeitsplatz sicher, sondern verdient als examinierte Kraft monatlich mehrere hundert Euro brutto mehr als heute. „Ich möchte finanziell unabhängig sein und auch etwas für meine spätere Rente tun.“ Eine weitere Karriere in der Pflege steht ihr dann außerdem offen.

Die Katholische Pflegehilfe wird im Oktober fünf weitere Pflegeassistenten in die Ausbildung schicken und diese über das neue Qualifizierungsgesetz fördern lassen. „Für uns hat das den großen Vorteil gegenüber einem Azubi, der von der Schule kommt, dass wir den Mitarbeiter schon kennen und er uns und seinen Beruf“, sagt Kampling.

Pflegebranche kann sich damit ein Stück weit selbst helfen

Das Qualifizierungschancengesetz

Mit dem Qualifizierungschancengesetz hat die Bundesregierung die bestehenden Fördermöglichkeiten der Bundesagentur für Arbeit ab dem 1. Januar 2019 ausgebaut.

Seither kann die Bundesagentur für Arbeit (BA) Weiterbildungskosten zumindest teilweise übernehmen. Zudem erhalten die Arbeitgeber Zuschüsse für die Lohnkosten, wenn sie ihre Beschäftigten für die Weiterbildung freistellen und das Gehalt weiter zahlen. Dabei müssen sich größere Unternehmen stärker beteiligen als kleine oder mittlere.

Da es ein Gesetz ist, ist das öffentliche Geld nicht mehr wie in Vorgängerprogrammen limitiert.

Mehr Infos dazu: 0800 45555 20

Das Potenzial der Unternehmen gerade in der Pflege ist groß, aus Ungelernten wie Sabrina Gwozdz Qualifizierte zu machen und so den Notstand bei Altenpflegern selbst ein Stück zu lindern. In Essen sind derzeit 5500 Frauen und Männer in der Altenpflege tätig. Davon haben 3000 einen Abschluss als examinierte Kraft, 2500 sind Pflegeassistenten. Diese dürfen nur begrenzte Tätigkeiten ausüben. „Für die Häuser ist das Verhältnis problematisch“, sagt Demler mit Blick auf die steigende Zahl der Pflegefälle.

Mit solchen Beispielen wie der Katholischen Pflegehilfe will die Arbeitsagentur mehr Unternehmen in Essen gewinnen, Mitarbeiter aus den eigenen Reihen fortzubilden. „Um künftig die notwendigen Fachkräfte zu gewinnen, wird Ausbildung und Zuwanderung nicht ausreichen. Wir brauchen die Qualifizierung“, sagt Demler.