Essen. Deutschlernen, Jobsuche, Ankommen: Seit sechs Jahren hilft die Flüchtlingshilfe Kupferdreh/Dilldorf. Nun hofft sie auf Essens Integrationspreis.
Es soll ein Dankeschön der Stadt sein: In diesem Jahr wird zum ersten Mal der der mit 1000 Euro dotierte Integrationspreis „Zusammenleben in Essen“ vergeben. Unter dem Motto „Ehrensache! – Ehrenamt in der Flüchtlingsarbeit“ sollen jene Bürger gewürdigt werden, die auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise mit angepackt haben. Beworben hat sich auch der Arbeitskreis Flüchtlingshilfe Kupferdreh/Dilldorf, der schon seit sechs Jahren aktiv ist - und für viele Neuankömmlinge Weichen gestellt hat. Mal ging es um einen Platz in einem Deutschkurs, mal um das Schicksal von Kindern, die auf der Flucht zurückgeblieben waren.
Begonnen hat alles in der ehemaligen Dilldorfschule, die bereits 2013 zur Flüchtlingsunterkunft umgewidmet wurde. Damals marschierte die extrem rechte Gruppierung „Pro NRW“ auf, protestierte gegen die Aufnahme der Flüchtlinge – und viele Bürger im Stadtteil stellten sich dagegen, warben für Asyl- und Menschenrecht, hießen die Flüchtlinge willkommen. Die pensionierte Lehrerin Marion Masthoff war eine von ihnen und sie dachte sich: „Die Demo kann ja nicht alles gewesen sein. Was können wir denn für die Leute tun?“ Die Frage stellten sie und ihre Schwester auch dem Leiter der Unterkunft, und bald darauf organisierten die Schwestern Spielrunden für Kleinkinder in der Dilldorfschule.
Helferin erlebte Höhen und Tiefen
Rasch fanden sich Mitstreiter, die Basteln und Nähen anboten, Hausaufgabenbetreuung und Sprachkurse. Die Freiwilligen kümmerten sich um Kleidung, begleiteten die Bewohner zu Behördengängen, luden sie zu Ausflügen an den Baldeneysee ein. Und stellten schnell fest, was die Neuankömmlinge noch dringender benötigten als Kleidung und Sachspenden: „Verbundenheit und Schutz“. So hat es eins der insgesamt 19 Mitglieder der Gruppe jetzt für die Bewerbung um den Integrationspreis notiert.
Denn die Gruppe hat eine regelrechte Bewerbungsmappe mit vielen Erfahrungsberichten zusammengestellt. An diesen Berichten lässt sich die Entwicklung der Integrationsarbeit anschaulich ablesen: angefangen beim spontanen Einsatz in den Unterkünften, als jede Geste zählte, als Filzen und Malen sich zum „Angebotsrenner“ entwickelten. „Beginn mit einer Handpuppe“, notiert eine der Ehrenamtlichen, die damals mit den Kindern spielte. Inzwischen betreut sie schon seit Jahren eine syrische Familie, die längst in der eigenen Wohnung lebt. Nach Höhen und Tiefen hat sie beschlossen: „Habe keine Erwartungen, du wirst sonst immer enttäuscht“.
Das Glück kann ein Reinigungsjob im Seniorenheim sein
Denn mit dem Umzug, betont Marion Masthoff, beginne meist erst die eigentliche Integrationsarbeit. Da kämpfen Analphabeten mit der Post von deutschen Ämtern, da wartet die schwer traumatisierte Mutter auf einen Therapieplatz, da findet ein engagierter junger Mann keine Arbeit, weil er nur geduldet ist. Und die Helfer, die längst zu Freunden geworden sind, führen zahllose Telefonate, sprechen bei zig Stellen vor, werden zu Experten in puncto Asyl, Ausbildungsduldung oder Familienzusammenführung.
Manchmal erleben die Helfer ein filmreifes Happy End wie bei den beiden afghanischen Mädchen, die auf der Flucht in Pakistan zurückblieben und erst nach beinahe zwei Jahren und unglaublichen Anstrengungen zur Mutter nach Essen reisen dürfen. Manchmal kommt das Glück eine Nummer kleiner daher, wie bei der Roma-Familie, wo Mutter und Vater nach langen Mühen einen Reinigungsjob im Seniorenheim haben, sozialversicherungspflichtig.
Eine Abschiebung wäre nicht nur für die Familie ein Desaster
Es gibt rührende Geschichten wie die des Eritreers, der seiner ehrenamtlichen Betreuerin ein traditionelles Kleid geschneidert hat, weil sie ihm eine Nähmaschine besorgt hat. Eine andere Helferin hat indes Angst, dass eine jesidische Familie abgeschoben wird, obwohl der Mann Arbeit hat, die Frau Deutsch lernt, die Kinder voll integriert sind. Sie sagt, das wäre nicht nur für die Jesiden ein Desaster: „Sie sind mir richtig ans Herz gewachsen!“
Über all das tauschen sich die Helfer bei ihren Treffen alle vier bis sechs Wochen aus. „Mit Tagesordnung und klarem Zeitrahmen, das sind keine Laberrunden“, betont Marion Masthoff. Man gebe sich konkrete Ratschläge, um eine erfolgreiche Integrationsarbeit zu leisten, „die der Staat so nicht hinbekommt“. Ob sie dafür nun mit dem Integrationspreis der Stadt Essen belohnt werden, sei letztlich zweitrangig: Die Berichte, die sie dafür zusammengetragen haben, hätten ihnen einmal selbst vor Augen geführt, „was wir alles erreicht haben“.
Der Oberbürgermeister wird den Preis überreichen
Der Integrationspreis der Stadt Essen soll all jene ins Rampenlicht setzen, „die für ein gelingendes Zusammenleben in unserer Stadt eine große Stütze sind“, heißt es im Ausschreibungstext. Die Idee haben Integrationsrat und Oberbürgermeister Thomas Kufen gemeinsam auf den Weg gebracht. Der OB hat auch die Schirmherrschaft für den Preis übernommen, er wird ihn an 13. Dezember im Rahmen einer feierlichen Zeremonie an den oder die Gewinner überreichen. Wer am Ende ausgezeichnet wird, entscheidet eine unabhängige Jury. Alle Bewerber erhalten eine Urkunde und werden zu der Feier eingeladen. Der Essener Integrationspreis soll in Zukunft alle zwei Jahre vergeben werden.
Der Arbeitskreis Flüchtlingshilfe Kupferdreh / Dilldorf gehört unter den Bewerben sicher zu den Pionieren der Flüchtlingshilfe. Er hat sich bereits im Jahr 2013 gegründet und setzt seine Arbeit bis heute fort. Viele der Mitglieder stammen aus sozialen Berufen, die meisten sind pensioniert.