Essen. Ohne Ehrenamtliche ist eine gelungene Integration von Flüchtlingen undenkbar. Doch viele Helfer geraten an ihr Limit. Ein Erfahrungsbericht.
Für die Ehrenamtlichen in der Flüchtlingsarbeit wird es noch sehr anstrengend – so hat es Galina Borchers, die neue Leiterin des städtischen Integrationszentrums, dieser Tage im Interview mit unserer Redaktion gesagt. Bisher sei es um die „Erstversorgung“ gegangen, nun stünden ungleich schwierigere Fragen an. Wir haben mit zwei Frauen gesprochen, die das tagtäglich erleben; und mit einem jungen Syrer, den sie unterstützen.
Mechthild Grosser ist beim Runden Tisch Holsterhausen für den Arbeitskreis Alltagsbegleitung zuständig und betreut über ein Dutzend Flüchtlinge aus verschiedenen Herkunftsländern; alles neben ihrer Arbeit. Ihre Mitstreiterin Gisela Borrmann-Heimannsberg ist pensionierte Lehrerin; auch sie ebnet den Weg durch den Alltag und gibt zudem Deutschunterricht.
Zwischen Behördendschungel und Erfolgserlebnissen
Beide waren schon in den Zeltdörfern aktiv und erlebten, wie die ersten Flüchtlinge von dort in die „Projektwohnungen“ umzogen, in denen sie ein Jahr lang von Caritas oder Diakoniewerk betreut wurden. Die personalintensive Betreuung wurde inzwischen abgelöst: Die Stadt verweist nun auf vorhandene Hilfsangebote in den Stadtteilen, die besser mit einander und den Ehrenamtlichen vernetzt werden sollen. Dazu gibt es Integrationskonferenzen vor Ort. Für die beiden Frauen heißt das, dass sie oft erste Ansprechpartner sind, sie übersetzen Behördenbriefe, arbeiten sich durch den Ämterdschungel, gehen mit auf Wohnungssuche. „Es gibt Familien, die einander raten: Ruf’ doch Frau Grosser an.“
Ob Jobcenterbescheid, Heizkostenabrechnung oder Familienzusammenführung: Es gibt zig Dinge, die die beiden regeln können – Erfolgserlebnisse. Gleichzeitig ärgern sie sich über langwierige Behördenwege, bisweilen schlechte Sprachkurse oder die schleppende Anerkennung ausländischer Abschlüsse. Doch nicht nur das sei zermürbend, sagt Borrmann-Heimannsberg: „Ich empfinde eine Stagnation.“ Und Mechthild Grosser wird immer wieder gefragt: „Wieso machst Du das noch?“
Manche Frau bleibt sprachlos im fremden Land
Da gibt es zum Beispiel die Frauen, die nicht zum Sprachkurs kommen: Einigen habe sie eine Kinderbetreuung vermittelt, sie Tag für Tag zum Kurs begleitet, um sie zu ermutigen: „Aber wenn ich das aufgehört habe, blieben sie weg.“ Auch weil die Männer oft nicht mitzögen, „ihre Frauen lieber auf den häuslichen Bereich festlegen“. So bleibe manche von ihnen Analphabetin, sprachlos im fremden Land.
Leichter war es anfangs mit den Männern, die mehr Bewegungsfreiheit hatten, Bildungsangebote gern annahmen. „Aber nun erleben wir bei vielen einen Rückzug in die eigene Community.“ Das hat auch Emad Altabbaa (29) beobachtet, der aus Syrien stammt, seit zwei dreiviertel Jahren hierzulande lebt und tadelloses Deutsch spricht. „In Essen leben so viele Flüchtlinge, dass sie oft keine Gelegenheit haben, Deutsch zu sprechen. Viele sehen das nicht als Problem oder ziehen sogar deswegen her.“ Aber dann erlebe er, wie ihnen Landsleute Geld für die Vermittlung einer Wohnung abknöpfen oder wie sie hilflos mit einem Brief vom Jobcenter zu ihm kommen – weil es ohne Deutsch eben doch nicht geht.
Kontaktversuche zu Deutschen sind oft schwierig
„Es gibt Syrer, die nichts machen wollen und nur jammern – die ziehen mich runter“, sagt Altabbaa, der selbst studiert und jobbt. Doch auch für ihn sei es schwierig, Kontakt zu Deutschen zu bekommen – zumindest zu Gleichaltrigen. „Die Ehrenamtlichen sind fast nur ältere Frauen, die Flüchtlinge oft junge Männer: Da darf man sich nicht wundern, dass die nicht ins Erzählcafé kommen“, sagt Borrmann-Heimannsberg. Da gebe es einen jungen Mann, der stets ins Fitness-Studio gehe, wenn da Deutsche seien, ergänzt Grosser. Andere hätten solche Kontaktversuche aufgegeben, träfen sich am Hauptbahnhof oder im Einkaufscenter: „Und dann sagen meine Nachbarn: Du kannst nicht mehr in die Stadt gehen, da sind nur Flüchtlinge.“
>>>> AKADEMIKER UND AUSHILFSKRAFT
Emad Altabbaa ist ein junger Syrer und ein Beispiel für die Verwerfungen der Integration: Schon als der heute 29-Jährige vor knapp drei Jahren nach Deutschland kam, brachte er ein abgeschlossenes Ingenieurstudium und drei Jahre Berufserfahrung mit. Heute studiert der Essener wieder und räumt in einem Supermarkt Regale ein, um sein Bafög aufzubessern.
Dabei ist sein syrischer Maschinenbau-Abschluss hier als Diplom anerkannt worden, dabei hat er die hohe C1-Qualifikation nicht nur auf dem Papier, sondern kann sich mühelos und auf bestem Niveau auf Deutsch ausdrücken. Trotzdem fand sich für ihn kein direkter Weg in den Arbeitsmarkt, so dass er derzeit an der Uni Dortmund noch einen Master macht. Doch Altabbaa beklagt sich nicht: „Deutschland ist das Paradies des Maschinenbaus, da kann Syrien nicht annähernd mithalten. Ich kann hier praktisch nichts anbieten.“
Vermutlich ist das zuviel der Bescheidenheit, aber Altabbaa ist ein Mensch, der Dankbarkeit gegenüber seiner neuen Heimat empfindet und ihr etwas anbieten möchte. Doch er hadert mit mancher Hürde auf seinem Weg. So sei die Ausländerbehörde telefonisch nicht erreichbar, es gebe dort keinerlei Beratung, der Ton sei oft rau, es fehle Respekt. „Mein Aufenthaltstitel läuft im August aus, wegen der Verlängerung muss ich acht Monate vorher einen Termin vereinbaren.“
„Die Professoren verstehe ich – die Studenten nicht“
Als fast unüberwindbar empfindet er die Hürde zwischen sich und den deutschen Kommilitonen: „Sie haben oft keine Zeit, aber vielleicht haben sie bloß keine Lust, einen Flüchtling kennenzulernen.“ Den europäischen Studenten falle es leichter, deutsche Freunde zu finden. „Die gehen mit in Bars, etwas trinken, gehen tanzen...“ Seiner Frau, die übrigens kein Kopftuch trage und an der Uni Duisburg-Essen studiere, ergehe es ähnlich. Vielleicht liege es daran, dass er im Kurs ein angestaubtes Deutsch lerne: „Die Professoren verstehe ich – die Kollegen oft nicht. Die reden zu schnell, zu modern.“
Jüngst hat er sich als Botschafter bei „Start with a friend“ beworben, das in Berlin und Köln junge Deutsche und Zuwanderer zusammenbringt. Es bleibe abzuwarten, ob die Initiative tatsächlich ins Ruhrgebiet expandiere, sagt Altabbaa: „Sie hatten auf ihren Aufruf zwei Bewerber: meine Frau und mich.“
>>>> INTEGRATIONSKONFERENZ ESSEN-WEST
Die 2. Integrationskonferenz Essen-West findet am Dienstag, 27. Februar, 17 h im Mehrgenerationenhaus, Kerckhoffstraße 22 b, statt. Ab 16.30 h gibt’s ein Stehcafé. Sprachmittler, die übersetzen können, sind anwesend. Die Stadt lädt alle ein, die Zusammenleben und Integration vor Ort verbessern wollen. In drei Arbeitsgruppen soll es um Sport, Dialog, Begegnungsorte gehen. Anmeldung erbeten an: christian.uhl@jugendamt.essen.de