Essen. Gastronom Stefan Romberg nimmt den Betreiber des Café Extrablatt am Baldeneysee gegen Kritik in Schutz und fordert Verständnis für seine Branche.

Stefan Romberg ist keiner, der ausgerechnet einer Systemgastronomie zur Seite springen will. Aber die harschen Reaktionen vieler Gäste im Internet nach der Eröffnung des „Extrablatt“ am Baldeneysee haben auch ihn als erfahrenen Gastronomen getroffen. Schon wenige Tage nach dem Start schlug in sozialen Netzwerken eine Welle der Kritik über das neue Lokal am See ein. Gäste beschwerten sich u.a. über lange Wartezeiten und überfordertes Personal. „Die Bitte des Chefs an die Gäste, Geduld zu haben, kann ich nur verstehen“, sagt Romberg.

Das Café Extrablatt am Baldeneysee wurde rege angenommen, allerdings gab es sehr viel Kritik am Service.
Das Café Extrablatt am Baldeneysee wurde rege angenommen, allerdings gab es sehr viel Kritik am Service. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Mit ironischem Unterton schreibt er in einer Mail an die Redaktion: „So den Hintern versohlt zu bekommen, macht uns Spaß! Dafür haben wir uns freiwillig entschieden. Uns reichen drei Stunden Schlaf, Hauptsache es gab noch einige Feierabendbierchen. Wir stehen dann trotzdem um 8 Uhr wieder voller Vorfreude im Laden und geben weiter Gas!“

Romberg ist seit 15 Jahren im Geschäft. Ihm gehört das Mittendrin in Rüttenscheid und vor anderthalb Jahren übernahm er die „Heimliche Liebe“ oberhalb des Baldeneysees. „Auch wir sind damals total überrannt worden“, erinnert er sich. Der tolle Sommer 2018 und ein häufig volles Haus auf der einen Seite und auf der anderen ein noch nicht eingespieltes Service- und Küchenteam – das kann eigentlich nur zu Ärger führen. „Ich habe damals viel mit den Gästen gesprochen, habe auf schlechte Bewertungen im Internet reagiert“, sagt Romberg. Aber viele hätten offenbar gar keine Reaktion gewollt, sondern wollten wohl nur ihren Frust ablassen.

Mindestlohn hat das Gehaltsgefüge nach oben geschraubt

Natürlich haben Gastronomen selbst ein Interesse, dass ihr Laden möglichst von Beginn an läuft. Denn ein einmal verprellter Gast ist nur schwer zurückzugewinnen. Dass dennoch, gerade in der Anfangszeit, Fehler passieren, sei menschlich, meint Romberg: „Wir machen das doch nicht extra, Gäste warten zu lassen. Wir haben keinen Ehrgeiz, das bestellte Getränk oder das Essen zu vergessen. Das sind Dinge, die passieren einfach. Genau wie in anderen Jobs auch.“ Manche Leute aber hätten dafür einfach kein Verständnis. „Ich beobachte, dass immer mehr Menschen total ungeduldig geworden sind. Das Meckern wird mehr. Und das nervt mich.“

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Natürlich, so räumt Romberg ein, würde der ein oder andere Gast zufriedener nach Hause gehen, wenn er mehr Personal im Einsatz hätte. „Die teuren Löhne sind der Grund, warum es manchmal nicht geht, einen Mitarbeiter mehr mitlaufen zu lassen“, sagt er aber. Wenn nach dem Mindestlohngesetz eine Schüler-Aushilfe schon deutlich über 9 Euro die Stunde bekomme, dann müsse er einer erfahrenen Fachkraft natürlich deutlich mehr zahlen. Sonst stimmt das Gehaltsgefüge im Betrieb nicht mehr.

Betriebsstruktur mit einem Bonussystem bei der Entlohnung

„Ich habe früher als Jugendlicher für knapp über fünf Mark die Stunde gejobbt, auch wenn man das sicher mit heute nicht mehr so ganz vergleichen kann.“ Um flexibler zu sein, arbeitet Romberg in seinem Betrieb mit einem Bonussystem. Das heißt, seine Mitarbeiter bekommen mehr, wenn es an einem Tag viel und länger zu tun gibt. „Das ist für mich besser, als eine zusätzliche Kraft einzusetzen.“

In der „Heimlichen Liebe“ habe es ein Jahr gedauert, bis das Team die Abläufe drin hatte und eine gewisse Routine eintrat. Dennoch sei auch heute noch jede Woche eine Herausforderung, sagt Romberg, der bei dem Gespräch gerade über dem Dienstplan der nächsten Woche saß. Er bietet einen Wunschdienstplan an, dass heißt, seine Leute können sich selbst eintragen, wann sie arbeiten möchten. Für den kommenden Donnerstag aber hatte sich niemand freiwillig gemeldet. „Das sitzt man dann da“, sagt Romberg.

Dutzende Ausbildungsplätze in Essen derzeit frei

Wie Romberg müssen die Gastwirte heute verstärkt auf die Wünsche ihrer Beschäftigten eingehen. Denn vor allem gute Kräfte können sich in der Branche mittlerweile ihren Arbeitgeber aussuchen. „Die Personalnot der Unternehmen ist akut. Das gilt für Fachkräfte genauso wie für Aushilfen“, unterstreicht der Geschäftsführer des Branchenverbandes Dehoga Nordrhein, Thomas Kolaric.

Mehr Ausbildung wäre ein Weg, die Lücken zu schließen. Doch momentan bildet Romberg nicht aus, weil er keinen Lehrling mehr findet. Sein letzter „vernünftiger“ Auszubildender, wie er sagt, ist zu einer großen Hotelkette gewechselt, weil er sich dort wohl bessere Chancen für seine Zukunft verspricht.

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Wie groß die Ausbildungsmisere allgemein ist, zeigen aktuelle Zahlen der Arbeitsagentur: So kamen von Oktober 2018 bis Juni 2019 in Essen auf 73 freie Ausbildungsstellen in der Gastronomie nur 19 Bewerber. Von den ursprünglich 73 freien Ausbildungsstellen waren bis Ende Juni noch 42 unbesetzt.

Das schlechte Image des Gastronomie-Berufs ist ein großes Problem

Warum es so schwierig ist, geeignete Mitarbeiter zu gewinnen ist, macht Romberg auch am Image seines Berufsstandes fest. „Ich habe das Gefühl, man schämt sich fast schon, wenn man sagt, man arbeitet in der Gastronomie.“ Der schlechte Ruf mag an den vergleichsweise niedrigen Löhnen liegen aber auch an den Arbeitsbedingungen. Denn Gastronomie ist ein harter Job. Das weiß jeder, der schon einmal – auch nur aushilfsweise - dort gearbeitet hat. Und wenn der Chef aus Kostengründen auch noch am Personal spart, dann wird die Arbeit umso beschwerlicher.

Was die Arbeitsagentur Gastronomen rät

Sowohl bei der sozialversicherungspflichtigen als auch bei der geringfügigen Beschäftigung gab es in der Gastronomie trotz aller Klagen der Gastronomen einen leichten Beschäftigungsanstieg im Vergleich zum Vorjahr: So waren laut Arbeitsagentur im Dezember 2018 (letzter Datenstand) 3574 Personen sozialversicherungspflichtig in dieser Branche beschäftigt, im Dezember 2017 waren es noch 3565 gewesen. Zusätzlich gingen im Dezember 2018 4972 Personen in dieser Branche einem Nebenverdienst nach, im Dezember 2017 waren es 4901.

Die Arbeitsagentur wirbt dafür, dass sich Gastronomen um den Nachwuchs stärker kümmern: „Um sich auch in der Gastronomie frühzeitig geeigneten Fachkräftenachwuchs zu sichern und dem Fachkräftemangel zu entgegnen, lohnt es sich für Arbeitgeber einerseits in die Ausbildung von geeigneten Nachwuchskräften und die Werbung für ihren Betrieb zu investieren und andererseits auch in die Weiterbildung von bereits gewonnenem, möglicherweise aber noch nicht abschließend ausgebildetem Personal. Durch geeignete Qualifizierungen können sie gegebenenfalls auch Fach – und Führungspositionen im Betrieb übernehmen. Wir bieten maßgeschneiderte Angebote für solche Qualifizierungen an“, erklärt Andrea Demler, Chefin der Agentur für Arbeit Essen.

Dazu kommt, dass die Beschäftigten meist dann arbeiten müssen, wenn Freunde und Bekannte frei haben. Das sei einer der Hauptgründe, warum eine Ausbildung in dem Bereich bei Jugendlichen so unbeliebt ist, sagt die Arbeitsagentur. Wie findet Romberg dennoch genügend Personal? Über Facebook-Anzeigen oder wenn andere Gastronomien aufgeben, sagt er. „Zum Glück gibt es ja immer wieder Menschen, die darauf Lust haben, bei uns zu arbeiten.“

Essener Gastronom Imhoff wirbt mit Vorzügen des Berufes

In einer Mail an die Redaktion schildert der Essener Gastronom Hans-Hubert Imhoff (unter anderem „Parkhaus Hügel“), wie aus seiner Sicht die Branche aus diesem (Image)-Dilemma kommt: Anstatt ständig nur über die Probleme – Arbeitszeiten, Nachwuchssorgen, Abbrecherquoten, schlechte Bezahlung, etc. – zu berichten, wünscht er sich eine Darstellung, die die positiven Seiten des Berufes unterstreicht.

Die Arbeit in der Gastronomie ist nicht immer einfach, aber spannend und vielseitig, betont der Gastronom Hans-Hubert Imhoff. Genau das käme oft zu kurz in der Außendarstellung.
Die Arbeit in der Gastronomie ist nicht immer einfach, aber spannend und vielseitig, betont der Gastronom Hans-Hubert Imhoff. Genau das käme oft zu kurz in der Außendarstellung. © Volker Hartmann

Imhoff zählt auf: kreative und abwechslungsreiche Berufe, keine langweiligen Routinen, direkte Erfolgserlebnisse, ständiger persönlicher Kontakt zu Gästen und Kollegen, flache Hierarchien, schnelle Aufstiegsmöglichkeiten, weltweite Beschäftigungsmöglichkeiten, keine Arbeitslosigkeit. Genau diese Vorzüge hat Imhoff deshalb in einem Flyer aufgeschrieben. Damit will er Jugendliche für eine Ausbildung gewinnen.

Auch Stefan Romberg mag für seinen Beruf nicht schwarzmalen. Seine Leidenschaft als Unternehmer und Gastronom hat er bei allen Problemen und bei manch nörgelndem Gast nicht verloren: „Ich freue mich jeden Tag wieder auf die netten Gäste. Die gibt es nämlich reichlich!“