Essen. Pflegekinder müssen oft lange warten, bis über ihr Schicksal entschieden wird. Bereitschaftspflegemütter wollen das mit einer Petition ändern.
Es soll ein Atemholen sein in einem belasteten Kinderleben: Gut 70 Kinder sind derzeit bei Essener Bereitschaftspflegeeltern untergebracht. Sie sollen laut Jugendamt für „einen begrenzten Zeitraum bleiben, in dem die Perspektive eines Kindes geklärt wird“. Der Aufenthalt solle am besten nicht länger als drei Monate sein, „da sie ab diesem Zeitpunkt beginnen, Bindungen zu den Pflegeeltern aufzubauen“, sagt der Leiter des Jugendamtes Ulrich Engelen.
Die Wirklichkeit sieht anders aus, schildert die Kölner Bereitschaftspflegemutter Tabea Pioch: „Das erste Pflegekind, das zu uns kam, sollte drei Monate bleiben – es wurden 13.“ Man müsse sich mal vorstellen, was es für ein anderthalbjähriges Kind heiße, aus der Familie gerissen, zu Fremden gebracht zu werden, sich allmählich zu arrangieren, mit der neuen Familie „Freud und Leid, Frühling, Sommer, Winter zu durchleben“. Um mit drei Jahren plötzlich wieder wegzumüssen, ein Zuhause, Geborgenheit zu verlieren.
Wenn Kindern von Pflegeeltern Gewalt angetan werde, sei die öffentliche Empörung verständlicherweise groß, sagt Pioch. Doch über diese Extremfälle gerate das Leid jener Kinder aus dem Blick, die mehrfach aus einer (Pflege-)Familie herausgerissen wurden, deren Vertrauen in Erwachsene nachhaltig erschüttert sei. Und die Fälle seien nicht selten.
Kinder leben ein Jahr lang auf Abruf
Tatsächlich bleiben auch in Essen Kinder ein Jahr oder länger in Bereitschaftspflege. Ideal sei das nicht, räumt Jugendamtsleiter Engelen ein: Die Kinder fühlten sich dann schon zu Hause und „umgekehrt bauen die Pflegeeltern Bindungen zum Pflegekind auf“. Hier prüfe man, ob das Kind dauerhaft in der Pflegefamilie bleiben könne. Das sei aber die rare Ausnahme, denn Bereitschaftspflegeeltern wollten Kinder ja bewusst nur vorübergehend aufnehmen. So ist es auch bei Tabea Pioch, die drei leibliche Kinder hat und ihre Familie nicht auf Dauer vergrößern möchte. Mit anderen Pflegemüttern startete die Kölnerin eine Online-Petition: „Appell an Jugendämter: Schnellere Entscheidung für das Kindeswohl“. Jugendämter und Familiengerichte brauchten mehr Personal.
Jugendamt sucht „risikobereite“ Pflegefamilien
Dass Kinder länger als geplant in der Bereitschaftspflege bleiben, liege häufig an langen familiengerichtlichen Verfahren, sagt Jugendamtsleiter Engelen. „Oft werden in den Verfahren Gutachten in Auftrag gegeben, die Aufschluss über die psychische Verfassung der leiblichen Eltern oder deren Erziehungsfähigkeit geben sollen.“ Die Gutachten seien eine Entscheidungshilfe, die Richter müssten ja klären, ob die Kinder zu den leiblichen Eltern zurückkehren oder nicht. Solange das offen sei, lasse man die Kinder in Bereitschaftspflege, „um ihnen einen weiteren Beziehungsabbruch zu ersparen“.
Das Jugendamt spreche regelmäßig mit Familienrichtern, denen die Problematik bewusst sei (siehe Interview oben). Eine Möglichkeit, einem Kind ein Hin-und-Her zwischen verschiedenen Pflegefamilien zu ersparen, sei, es sofort in einer „risikobereiten Dauerpflegefamilie“ unterzubringen, wo es nach einem entsprechenden Urteil bleiben könne. Doch solche Familien seien schwer zu finden: Denn das Verfahren könne eben auch damit enden, dass sie das Kind wieder abgeben müssen.