Die Zahl der kurzsichtigen Kinder nimmt zu. Experten gehen davon aus, dass das auch an einer übertriebenen Handy-Nutzung liegen könnte.

Ruhrgebiet. Kaum ist das Baby auf der Welt, schon patscht sein Händchen auf den Tablet-Bildschirm: Für Kinder ist es heute normal, in einer Welt voller Medien groß zu werden. Bereits die ganz Kleinen bekommen mit, wie vom Bruder bis zur Ur-Oma alle in der Familie ihren Alltag mit Smartphones und Co. organisieren. Kinder-Apps, Zeichentrickserien im Internet oder das Handy-Video mit Tante Trullas Geburtstagstorte verleiten dazu, die handlichen Geräte schon ins Leben der Babys zu integrieren. Trotz aller Bedenken. Von Entwicklungsstörungen bei übertriebener Smartphonenutzung ist immer wieder die Rede. Doch Experten warnen auch, dass die Augen der Kinder früh leiden könnten.

In Deutschland sind etwa 15 Prozent der Grundschüler kurzsichtig – Tendenz steigend

Die Befürchtungen des Berufsverbands der Augenärzte Deutschlands und der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft stimmen nachdenklich: Weltweit sind immer mehr Kinder kurzsichtig. Das heißt: Sie haben Probleme, Dinge in der Ferne zu erkennen. In Deutschland sind etwa 15 Prozent der Grundschüler betroffen, in den nächsten 20 bis 30 Jahren könnte sich diese Zahl verdoppeln, so die Prognose. Eine Brille wird die Probleme schon richten? Ganz so einfach ist es nicht.

Prof. Anja Eckstein (li.) und Dr. Barbara Schaperdoth-Gerlings sind Augenexpertinnen in der Essener Uniklinik.
Prof. Anja Eckstein (li.) und Dr. Barbara Schaperdoth-Gerlings sind Augenexpertinnen in der Essener Uniklinik. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

„Kurzsichtigkeit zählt zu den Hauptrisikofaktoren für spätere Augenerkrankungen wie Katarakt (Grauer Star), Glaukom (Grüner Star) oder Netzhauterkrankungen“, sagt Prof. Anja Eckstein, Oberärztin der Sehschule. In der Klinik für Augenheilkunde am Essener Universitätsklinikum diskutieren sie und ihre Kollegen über die Gründe. Genauso wie es die Experten auf Kongressen oder in ihrem Praxisalltag machen. Immer wieder kommen sie zu diesem Ergebnis: Wer schon in frühen Jahren zu viel aus nächster Nähe auf Smartphones und Tablets starrt, tut sich damit keinen Gefallen. „Das Auge benötigt Abwechslung. Am besten ist das gesunde Mittelmaß aus Nah- und Fernsicht“, sagt Dr. Barbara Schaperdoth-Gerlings, die die Sehbehindertenambulanz an der Uniklinik leitet.

In China gibt es an den Schreibtischen der Schüler Abstandhalter

Deshalb lautet eine Empfehlung der Deutschen Augenärztlichen Fachgesellschaft: Das Kind muss an die frische Luft, am besten zwei bis drei Stunden täglich. Weg von den kleinen Bildschirmen, raus auf den Fußball- oder Spielplatz. „In China sind noch mehr Kinder kurzsichtig als bei uns“, sagt Expertin Anja Eckstein. Dort gebe es an einigen Schulen sogar Abstandhalter an den Tischen, die dafür sorgen, dass die Schüler ihren Kopf nicht zu nah auf das Unterrichtsmaterial neigen. So soll die Entwicklung einer Kurzsichtigkeit vermieden werden.

40 cm Abstand zum Handy halten

Die menschlichen Augen sehen nach der Geburt nicht automatisch einwandfrei. Ihre Funktion wird erst im Laufe der ersten Lebensjahre perfektioniert, so wie es bei anderen Körperteilen auch ist. „Die normale Sehentwicklung ist mit dem sechsten oder siebten Lebensjahr abgeschlossen“, sagt Barbara Schaperdoth-Gerlings.

Die Ärztinnen aus der Augenklinik empfehlen Eltern, genau darauf zu achten, wie ihre Kinder mit dem Smartphone umgehen. „Kinder neigen dazu, das Gerät bis auf zehn Zentimeter an das Gesicht heranzuhalten, um Videos oder Bilder noch größer sehen zu können“, sagt Anja Eckstein. Sie rät, einen Abstand von 30 bis 40 Zentimetern einzuhalten.

Noch etwas: Nicht jede Kurzsichtigkeit in jungen Jahren ist auf eine übertriebene Smartphone-Nutzung zurückzuführen. „Es gibt auch andere Formen, die sich meist in der frühen Kindheit manifestieren. Diese Kinder bekommen so früh wie möglich Kontaktlinsen, damit sich ihr Sehvermögen besser entwickelt.“

In einigen Fällen sind Smartphone und Tablet für Kinder übrigens eine große Erleichterung. Barbara Schaperdoth-Gerlings erzählt, wie sie sehbehinderten Menschen helfen, durch den Alltag zu kommen. Mit speziellen Apps und Lupenfunktion.