Essen. Der erste Essener Träger hat seine zehn Kitas zur handyfreien Zone erklärt: Viele Eltern hätten noch beim Abholen der Kinder telefoniert.

Am Ende eines langen Tages in der Kita müssen viele Kinder erleben, dass ihre Eltern sie zwar abholen, ihnen aber nicht zuhören. Denn ihre Aufmerksamkeit gilt nicht den Abenteuern oder dem Kummer der Kinder, sondern dem Smartphone. „Die organisieren entweder schon Verabredungen für den Nachmittag oder sind noch halb auf der Arbeit“, sagt Tanja Sager, die den Fachbereich Bildung und Betreuung beim Träger CSE leitet. Immer wieder hätten Kita-Leiterinnen und Mitarbeiterinnen darüber geklagt, wie störend das sei. Und so hat sich die CSE entschlossen, ihre zehn Kindertagesstätten in Essen zur handyfreien Zone zu erklären.

Zum Start lud die CSE jetzt in die Villa Kunterbunt im Essener Südostviertel: In dem Familienzentrum mit sechs Gruppen und mehr als 100 Kindern hätten die telefonierenden Mütter und Väter gerade in der Abhol-Phase für ziemliche Unruhe gesorgt, sagt die stellvertretende Kita-Leiterin Maren Rufer. Außerdem sei es natürlich unschön für die Kinder, wenn ihre Eltern sich ihnen gar nicht zuwendeten, sondern vom Smartphone abgelenkt seien. Das soll sich nun ändern. Auf Elternabenden und per Elternbrief wurden die Familien der zehn CSE-Kitas informiert, dass „Mobiltelefone in der Kita ausgeschaltet und weggepackt“ werden.

Mit Warnweste und Kelle stoppen die Kinder telefonierende Eltern

Selbst wenn sich uneinsichtige Eltern nicht daran halten sollten, dürften sie den Kindern in Zukunft mehr Aufmerksamkeit schenken: Die Jungen und Mädchen erhalten nämlich gelbe Warnwesten und Handy-Verbots-Kellen, mit denen auf die neue Regelung – und damit eben auch auf sich selbst – hinweisen dürfen.

Zeitgleich wurden am Dienstagmorgen (11. Juni 2019) alle CSE-Kitas mit einem entsprechenden Schild versehen und die Kinder ausgerüstet. „Wir zeigen den Eltern die Kelle“, kündigt der sechsjährige Theo selbstbewusst an und ein anderes Kind freut sich: „Jetzt sind wir eine Polizeistation.“ Die Freude, den Erwachsenen etwas zu verbieten, ist ungeteilt. Das Problembewusstsein ist allerdings unterschiedlich ausgeprägt: Die einen erzählen, dass ihre Eltern selbstverständlich noch nie in der Kita telefoniert haben, die anderen sagen, dass sie das gar nicht störe.

Nicht jede Mail muss sofort beantwortet werden

Maren Rufer wundert das nicht: Schon in die Kita werden abgelegte Mobiltelefone der Eltern mitgeschleppt, immerhin nur als Spielzeug und ohne SIM-Karte. Smartphones seien eben im Kinderleben längst allgegenwärtig: „Im Stuhlkreis haben wir gerade wieder gehört, wie präsent das Handy zu Hause ist, selbst bei den Mahlzeiten.“

Und so soll das Handyverbot ein Anstoß sein, „über die eigene Mediennutzung nachzudenken“, sagt CSE-Geschäftsführer Björn Enno Hermans. Er schaue ja auch zu Hause aufs Smartphone, wenn er eine Nachricht bekomme. Es gehe also nicht darum, die Eltern zu bevormunden, sondern sie dafür zu sensibilisieren, dass nicht jede Nachricht dringend ist, nicht jede Mail sofort beantwortet werden muss.

Für viele Eltern ist es klar, nicht in der Kita zu telefonieren

Die meisten Eltern seien berufstätig, viele stünden unter Stress: „Vielleicht rufen die morgens von der Kita bei der Arbeit an, dass sie sich verspäten werden, weil es einen Stau gab“, sagt Tanja Sager, die dafür durchaus Verständnis hat. Aber vielleicht vertrage so ein Anruf ja ein paar Minuten Aufschub, so dass noch Zeit bleibe, sich von Sohn oder Tochter zu verabschieden. In Hamburg hätten kürzlich Grundschüler für ein Handyverbot demonstriert, Motto: „Spielt mit mir! Nicht mit eurem Handy!“ Kleinkinder könnten noch keine Demo organisieren, aber man wolle auch sie bestärken, die Aufmerksamkeit der Eltern einzufordern. Notfalls mit der Handy-Verbots-Kelle.

Die Reaktionen vieler Mütter und Väter seien übrigens positiv, erzählt Maren Rufer. „Manche waren überrascht, dass das überhaupt ein Thema ist. Für die ist es klar, nicht in der Kita zu telefonieren.“ Es gebe sicher auch Eltern, die anderer Meinung seien - nur die haben sich noch nicht zu Wort gemeldet.

Anderer Träger setzt auf Appell an die Eltern

Einen Appell, in der Kindertagesstätte aufs Handy zu verzichten, gibt es übrigens schon seit vielen Jahren beim katholischen Kita-Zweckverband. „In der einen Hand das Smartphone, an der anderen das Kind hinter sich herziehen – das wollten wir nicht“, sagt Gebietsleiterin Ursula Rosen. Man mache alle Eltern schon beim Aufnahmegespräch auf diesen Wunsch aufmerksam und sei damit gut gefahren. In Kürze werde es einen neuen Medien-Kodex geben, mit den bereits bewährten Regelungen zum Mobiltelefon.