Essen. Die Zahl der so genannten „Schulzuführungen“ steigt in Essen. Sie sind das letzte Mittel, wenn Kinder und Jugendliche ständig schwänzen.

Um rund 30 Prozent gestiegen ist die Zahl der so genannten „Zwangsweisen Schulzuführungen“ im Jahr 2018 gegenüber dem Vorjahr. Insgesamt 133-mal klingelte das Ordnungsamt notorische Schulschwänzer im Essener Stadtgebiet aus dem Haus. Im Jahr 2017 waren es noch 102 Fälle. Doch die Zahl schwankt ständig: Schon im Jahr 2016 lag die Zahl der „Schulzuführungen“, die Schulen beim Ordnungsamt beantragen müssen, bei rund 130.

Eine „Schulzuführung“ ist das letzte Mittel, das eine Schule wählen kann, wenn es darum geht, Schüler mit vielen Fehlstunden wieder zurück in den Unterricht zu bekommen. Davor stehen Mahnungen und Warnungen und Gespräche mit Eltern – die aber längst nicht immer erfolgreich verlaufen. Auch Bußgelder bringen es nicht immer - obwohl die Stadt seit Jahren 50 Euro pro Fehltag berechnet.

Zahl der Vorgänge ungleich im Stadtgebiet verteilt

Am häufigsten muss das Ordnungsamt bei Familien im Stadtbezirk V anklingeln, in den Stadtteilen Altenessen, Karnap und Vogelheim. So gut wie keine „Schulzuführungen“ gibt es in den Bezirken IX (Fischlaken, Bredeney, Heidhausen, Kettwig, Schuir Werden) und VIII (Burgaltendorf, Kupferdreh, Überruhr, Heisingen, Byfang). Mit den aktuellen Zahlen hat sich zuletzt der städtische Ordnungsausschuss beschäftigt, dem die Verwaltung die neueste Statistik vorlegte.

„Wenn Schulen eine Zuführung beantragen, fahren wir mit zwei Kollegen ‘raus, schnappen das Kind oder den Jugendlichen und bringen ihn zur Schule. Treffen wir ihn nicht an, fahren wir auch noch ein zweites Mal hin“, erklärt Harald Wichmann vom städtischen Ordnungsamt. In den allerseltensten Fällen gelinge es den Mitarbeitern des Ordnungsamtes nicht, überhaupt Kontakt herzustellen zu den Eltern.

Aus Schwänzern, die einfach nur keine Lust haben, werden schnell Verweigerer mit handfesten Problemen

Was sind Gründe, dass Kinder und Jugendliche regelmäßig dem Unterricht fernbleiben? Das LVR-Klinikum an der Wickenburgstraße betreibt eine Ambulanz „für Kinder und Jugendliche mit schulvermeidendem Verhalten“, so heißt die Einrichtung offiziell. „Wir unterscheiden zwischen Schwänzern und Verweigerern“, erklärt Martin Knollmann, Kinder- und Jugendpsychotherapeut im LVR-Klinikum. „Schwänzer sind jene, die nur aus Unlust nicht zur Schule gehen, Verweigerer haben häufig psychologisch bedingte Gründe zum Fernbleiben wie zum Beispiel Mobbing-Erfahrungen, Ängste oder Depressionen. Hilfe brauchen beide.“

Denn auch aus Gelegenheits-Schwänzern können leicht Verweigerer werden, wenn sich ihre Fehlzeiten häufen und sie keine schulische Perspektive mehr haben. „Schon wer nur einmal im Monat unentschuldigt fehlt, der ist einem Risiko für Folgeprobleme ausgesetzt“, sagt Knollmann. „Es wird spätestens dann schwierig, wenn zwei oder mehr Fehltage im Monat die Regel werden.“

Hier bekommen Betroffene Hilfe

Die „Ambulanz für Kinder und Jugendliche mit schulvermeidendem Verhalten“ ist telefonisch erreichbar unter 0201 8707-450.

Sprechzeiten: Mo, Di, Do, Fr, jeweils 10 bis 12.30 Uhr. Mi von 10 bis 11 Uhr und Mo, Di, Mi, Do auch von 14 bis 16 Uhr. Fr von 13 bis 14 Uhr.

Die LVR-Klinik liegt an der Wickenburgstraße 21.

Rund 150 Kinder und Jugendliche betreut die LVR-Ambulanz pro Jahr; entscheidend ist bei der Behandlung von betroffenen Jugendlichen die Geschwindigkeit: „Wir müssen die Betroffenen schnell untersuchen und schauen, ob eine Störung vorliegt. Wenn die Kinder und Jugendlichen vom Haus- oder Kinderarzt erst mal über Wochen krankgeschrieben werden wegen diffuser Bauch- oder Kopfschmerzen, verschärft das das Problem.“

Schrittweise Arbeit: Langsam den Betroffenen wieder an Schule gewöhnen

Sei das Problem erkannt, arbeite man in der Ambulanz mit Therapeuten und Pädagogen daran, schrittweise den betroffenen Jugendlichen wieder zum Schulbesuch zu bewegen: „Das können erst mal zwei Stunden Unterricht pro Tag ohne Notengebung sein“. Dafür arbeite man eng mit den Schulen, dem Jugendamt und dem schulpsychologischen Dienst der Stadt zusammen. In besonders schweren Fällen gibt es teil- oder vollstationäre Behandlungen.

Die Ursachen für Angststörungen oder Depressionen bei Kindern und Jugendlichen sind vielfältig: Oft lägen auch Probleme in der Familie vor - zum Beispiel, wenn ein Elternteil dauerhaft krank wird oder die Eltern sich trennen. „Wenn dann noch Stress mit dem besten Freund dazukommt und schlechte Noten, dann glauben die Betroffenen, die Schulvermeidung sei wie eine Reißleine, die zumindest kurzfristig einen Ausweg aus der Überforderung biete.“