Essen. . Aufatmen am Uniklinikum Essen: Die Ermittlungen gegen einen leitenden Transplantationsarzt sind eingestellt. Der Arzt war 2018 sogar in U-Haft.
Von dem vermeintlichen Transplantations-Skandal am Essener Uniklinikum ist am Ende offenbar nichts übrig geblieben: Die Ermittlungen gegen den Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie sind am Mittwoch eingestellt worden. Das Verfahren gegen zwei weitere Transplantationsärzte wurde „mangels hinreichendem Tatverdacht“ eingestellt. Dies teilte die Staatsanwaltschaft mit. Demnach hat der Hauptbeschuldigte lediglich eine Geldauflage in Höhe von 50.000 Euro wegen Verstößen gegen das Transplantationsgesetzes gezahlt.
Die Staatsanwaltschaft erklärte dazu: „Bei den verbliebenen Verstößen gegen Mitteilungs- und Dokumentationsvorschriften handelt es sich um Vorschriften mit einer vergleichsweise geringen Strafandrohung, so dass im Falle einer Anklageerhebung und Verurteilung nur mit einer geringen Sanktion zu rechnen wäre.“
Eingriffe sollten „nicht erforderlich“ gewesen sein
Dabei hatten die Ermittler dem damals 61-Jährigen Mediziner im September 2018 nicht nur wiederholte Verstöße gegen das Transplantationsgesetz vorgeworfen, sondern sogar Totschlag. Wegen Flucht- und Verdunkelungsgefahr wurde der Arzt zunächst in Untersuchungshaft genommen.
Konkret vorgeworfen wurden dem leitenden Mediziner sechs Lebertransplantationen in den Jahren 2012 bis 2015, die medizinisch „nicht erforderlich“ gewesen sein sollten. Er habe die Eingriffe zugelassen und sei zum Teil selbst daran beteiligt gewesen, obwohl ihm bewusst gewesen sei, dass „risikoärmere, alternative Behandlungsmöglichkeiten mit guter Prognose bestanden hätten“, teilte die Staatsanwaltschaft Essen Anfang September 2018 mit. Das gelte auch für eine Operation aus dem Jahr 2014, die sogar zum Tod des Betroffenen geführt haben sollte. „Der Patient könnte möglicherweise noch leben“, sagte Oberstaatsanwältin Anette Milk damals. Dem Mediziner wurde daher Totschlag in einem Fall sowie Körperverletzung in fünf Fällen vorgeworfen. Der Mediziner hatte die Vorwürfe stets bestritten.
Mediziner musste namhafte Summe als Kaution zahlen
Ausgelöst worden waren die Ermittlungen im Jahr 2017 durch einen Bericht der Prüfungs- und Überwachungskommission, die die Transplantationszentren kontrolliert. Dabei ging es um Verstöße gegen das Transplantations-Gesetz, etwa die Verletzung von Dokumentationspflichten. Die Uniklinik hatte diese ersten Vorwürfe zurückgewiesen und dem später inhaftierten Mediziner das „uneingeschränkte Vertrauen“ ausgesprochen.
Bei den schwerwiegenden Vorwürfen aus dem Jahr 2018 stützte sich die Staatsanwaltschaft auf das Gutachten eines „renommierten Sachverständigen“. Man wollte nun ermitteln, „ob es zu weiteren Todesfällen gekommen ist“, erklärte Anette Milk Anfang September 2018. Doch statt neue Vorwürfe zu erheben, tat sich die Staatsanwaltschaft seither augenscheinlich schwer, die bereits erhobenen zu erhärten.
Schon nach einer guten Woche war der beschuldigte Mediziner zunächst gegen Zahlung einer „namhaften“ Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Da man die Unterlagen zu den Fällen sichergestellt habe, bestehe keine Verdunkelungsgefahr mehr.
Im Januar wurde bereits der Haftbefehl aufgehoben
Im Januar 2019 nahm der Fall dann bereits eine Wende: Die Staatsanwaltschaft hob den Haftbefehl auf, es gebe „keinen dringenden Tatverdacht“ mehr. Um das belastende Gutachten zu widerlegen, hatte sich der beschuldigte Arzt „ebenfalls medizinischer Expertise bedient“, erklärte Oberstaatsanwältin Anette Milk. Daraufhin hatte die Staatsanwaltschaft einen weiteren Mediziner mit einem neuen Gutachten beauftragt. Dieser Experte kam nun zu dem Ergebnis, dass die betreffenden Operationen doch angezeigt gewesen seien. Es sei denkbar, dass der erste Gutachter dazu noch einmal Stellung nehme.
Kurz nachdem der Haftbefehl aufgehoben wurde, hatte der Arzt seine Arbeit am Uniklinikum übrigens wieder aufgenommen. Auf eine Entschädigung für die Untersuchungshaft habe er verzichtet, erklärt Oberstaatsanwältin Anette Milk.
Die Uniklinik begrüßte die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und wies darauf hin, dass der zweite Gutachter in 91 geprüften Fällen festgestellt habe, dass die Eingriffe „medizinisch vertretbar“ gewesen seien. „Unter dem Strich sind damit sämtliche schwerwiegenden Vorwürfe des Erstgutachters entkräftet worden. Uns alle vom Essener Universitätsklinikum haben die über Monate andauernden strafrechtlichen Ermittlungen tief erschüttert“, erklärte der Ärztliche Direktor der Universitätsklinik Essen, Prof. Jochen A. Werner. „Ich bin sehr froh, Herrn Prof. Paul mit seiner herausragenden Kompetenz wieder an seinem Arbeitsplatz zu wissen.“
>>> PRÜFBERICHT LÖSTE ERMITTLUNGEN AUS
- Die Essener Uniklinik war im September 2018 von der Verhaftung des Direktors der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie überrascht worden. Sie gab seither praktisch keine Auskünfte zu dem Fall, sondern betonte nur, dass man „vollumfänglich mit der Staatsanwaltschaft kooperieren“ wolle. Ein Berufsverbot gegen den beschuldigten Arzt oder andere Mediziner seiner Abteilung, gegen die ebenfalls ermittelt wurde, sprach die Staatsanwaltschaft nicht aus.
- Auslöser für die Ermittlungen war ein Bericht der Prüfungs- und Überwachungskommission im Jahr 2017. Diese kontrolliert im Auftrag von Bundesärztekammer, Krankenhausgesellschaft und Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen die Transplantationszentren. Sie hatte der Uniklinik vorgeworfen, „willentlich und systematisch“ gegen die Richtlinien zu verstoßen. So seien Wartelisten nicht korrekt geführt und Dokumentationspflichten verletzt worden. Das bestritt die Uniklinik.
- Allerdings hatte die Uniklinik selbst den Prüfbericht der Staatsanwaltschaft zur Kenntnis gegeben, die nach eingehender Prüfung die Ermittlungen einleitete. Es wurde demnach „von Amts wegen“ ermittelt, eine Anzeige gegen die Uniklinik hat es nicht gegeben.