Essen. In Essen boykottieren Gläubige das Gemeindeleben, weil die Erneuerung der Kirche schleppend verlaufe. Das findet Generalvikar Klaus Pfeffer auch.
Erst im letzten Jahr hat das Bistum Essen einen Missbrauchsfall der Staatsanwaltschaft übergeben, seit vielen Jahren lebt der betroffene Priester in Essen im Ruhestand. Strafrechtlich ist die Angelegenheit verjährt, heißt es, der über 80-jährige frühere Berufsschulpfarrer habe nichts mehr zu befürchten.
Fälle wie dieser und ihre schleppende oder fehlende Aufarbeitung lösen an der Kirchenbasis viel Zorn aus, was nun in Burgaltendorf in der Herz-Jesu-Gemeinde sogar zu einem einwöchigen Boykott der Messe und zur vorübergehenden Einstellung des kirchlichen Engagements führt. „Ich habe großes Verständnis für diese Aktion“, sagt Klaus Pfeffer, als Generalvikar des Bistums Essen der Stellvertreter des Bischofs.
Über die früheren Bischöfe will Pfeffer nicht den Stab brechen: „Sie waren Kinder ihrer Zeit“
„Ich bin selbst enttäuscht, wie schwer sich die Bischofskonferenz tut“, sagt Pfeffer, der sich seit Monaten in öffentlichen Äußerungen sehr kritisch mit seiner Kirche auseinandersetzt. Zwar nimmt Pfeffer für das Bistum Essen in Anspruch, dass man mittlerweile zu jenen deutschen Diözesen gehöre, die sehr offensiv den Missbrauchsskandal anprangern und eine Erneuerung der Kirche fordern. Ehrlicherweise gelte das aber nicht für die Vergangenheit.
Haben die früheren Essener Bischöfe Schuld auf sich geladen? „Da bin ich zurückhaltend, weil ich mich nicht als moralischer Richter aufspielen will“, sagt der 55-jährige. Wenn es um Missbrauchsfälle geht, dann rede man vor allem von der langen Ära von Franz Hengsbach, dem ersten Bischof von Essen, dessen Erbe das Bistum bereits seit geraumer Zeit kritisch hinterfragt. Pfeffer will aber den Stab nicht brechen. „Die damals Handelnden waren Kinder ihrer Zeit.“
„Man glaubte, Probleme durch Versetzungen von Priestern lösen zu können“
Das Verdrängen von Missständen und das geräuschlose Regeln von Priester-Verfehlungen sei an der Tagesordnung gewesen. „Man glaubte, Probleme durch Versetzungen von Priestern lösen zu können, was unzureichend war.“ Mit Tätern hätte die Kirche viel entschiedener umgehen müssen, sie vor der staatlichen Justiz nicht schützen dürfen. Allerdings habe es auch Opfer gegeben, die unter gar keinen Umständen irgendeine Form von Öffentlichkeit wollten - vermutlich auch, weil sie befürchteten, ein weiteres Mal kein Verständnis zu finden, vielmehr nun womöglich offen angefeindet zu werden.
Pfeffer ließ zuletzt bei verschiedenen Gelegenheiten deutlich durchblicken, dass er die priesterliche Ehelosigkeit, das Zölibat, für überholt hält. Die immer noch starke Tabuisierung der Sexualität in der katholischen Kirche ist aus seiner Sicht ebenfalls Nährboden für die Anfälligkeit mancher Priester, zu Missbrauchs-Tätern zu werden.
Über allem stehe ein tradiertes Bild der Priesterschaft, kritisiert der Generalvikar
Dies alles überwölbe ein tradiertes Bild des Priesters, der seine Autorität und Macht über Menschen direkt von Gott herleiten könne – oder dem dies von Teilen der kirchlichen Hierarchie zumindest suggeriert wurde und teils weiterhin wird. „Man stellt Priester regelrecht auf ein Podest“, sagt Pfeffer, der 1992 geweiht wurde. Wer seine Rolle dann nicht hinreichend reflektiere, könne dazu neigen, seine Macht zu missbrauchen.
Als Vertreter von Franz-Josef Overbeck sei ihm bei einer der letzten Bischofskonferenzen die Zerrissenheit dieses Gremiums deutlich geworden. Während die einen offensiv eine Erneuerung der Kirche fordern, tun sich andere schwer. „Es geht dabei nicht um Bagatellisierung von Verbrechen“, betont der Generalvikar. Dazu gebe es keine zwei Meinungen.
Das Argument sei ein anderes: Weil manche Fehler machten, müssten doch nicht gleich die alten bewährten und erprobten Strukturen der Kirche über Bord geworfen werden. Überhaupt gibt es bei den Konservativen die Sorge, dass sich die Kirche viel zu sehr von gesellschaftlichen Trends und dem schnelllebigen Zeitgeist abhängig mache.
Die Frage nach dem Zentrum des Glaubens - und die Sprachlosigkeit darüber
Pfeffer verhehlt nicht, dass er auch für diese Sichtweise ein gewisses Verständnis hat – und es letztlich doch anders sieht. „Fakt ist, wir haben keinen Priesternachwuchs mehr und wir verlieren den Rückhalt in der Gesellschaft.“ Ohne Gläubige aber könne Kirche schwerlich existieren. „Wir müssen uns deshalb fragen, was eigentlich im Zentrum unseres Glaubens steht.“
Da treffe man oft auch innerkirchlich auf große Sprachlosigkeit. Strukturfragen wie der Zölibat und das ausschließlich männliche Priestertum seien ebenso wenig entscheidend wie das Festhalten an Kirchengebäuden, die längst zu groß geworden seien, bemerkt Pfeffer.
60 beschuldigte Geistliche seit Gründung des Bistums
- Das Bistum Essen hat seit seiner Gründung 1958 85 Opfer von sexuellen Übergriffen und 60 beschuldigte Geistliche verzeichnet. 19 Priester sind verurteilt worden: sieben von ihnen straf- und kirchenrechtlich, vier nur strafrechtlich und acht nur kirchenrechtlich.
- Für die anderen 41 Priester gebe es ernstzunehmende Hinweise auf Missbrauchstaten, so Bistumssprecher Ulrich Lota. Die meisten dieser Priester seien längst verstorben.