Essen. . „Blühender Lappensalat“ für die Galerie: Renate Neuser zeigt, wie alterslos junge Kunst sein kann. Bei Schlag brennt die letzte Kerze: „Memento“

Wie alt darf man sein, um junge Kunst zu machen? Und braucht es schon das raumsprengende Installationsexperiment, den hippen Digitalversuch oder die verrückte Konzeptionskapriole, um auf dem Markt der Gegenwartskunst überhaupt noch Aufsehen zu erregen?

Im Kunsthaus Essen zeigt Renate Neuser, dass man keine 20 sein muss, um Kunst zu produzieren die so frisch, experimentierfreudig und unverbraucht daherkommt, dass man nicht vermuten würde, dass die Schöpferin gerade ihren 80. Geburtstag gefeiert hat. So ist die aktuelle Kunsthaus-Ausstellung eine Würdigung, aber auch eine Reflexion darüber, was es bedeutet, sich bis ins hohe Alter der Kunst zu verschreiben – mit allen kreativen Bereicherungen, aber eben auch den wirtschaftlichen Entsagungen.

Zwischen Baumarkt und Botanik

Den schöpferischen Raum für dieses nicht ganz einfache Leben mit und von der Kunst hat Renate Neuser im Kunsthaus Essen gefunden, wo sie seit rund 25 Jahren ihr Atelier hat. Eigentlich soll das Kunsthaus vor allem ein Produktionsort für die Künstler sein, aber für Renate Neuser wird er nun auch zum Präsentationsort. Gleich drei Räume hat sie mit ihren Arbeiten bestückt: dem „Blühenden Lappensalat“, taufrisch von 2018, der „Pinkäugigen Tiefseeschönheit“ von 2015 oder der „Sandquappe im Stachelstadium“ von 2009. So kreativ-verrückt und fantasievoll wie die Titel kommen auch die Skulpturen daher, die sie mit Humor vom Sockel stößt und mit einem eigenwilligen Material-Mix aus Gefundenem und Verfremdeten formt. Ihre Neu-Schöpfungen, die zwischen Natürlichkeit und Künstlichkeit, botanischem Garten und Baumarkt oszillieren, zeugen vom spielerischen Umgang mit Form und Material und von der ungebrochenen Lust, die Welt immer wieder neu zu entdecken.

Leben im Bewusstsein der Sterblichkeit, das ist seit jeher ein Thema der Kunst. Der Münchner Maler Thomas Vetter, Jahrgang 1979, nimmt das „Memento“-Thema in seiner großformatigen Kunst in verschiedener Hinsicht auf. Er bezieht sich nicht nur auf den Begriff der Endlichkeit, sondern auch den Christopher Nolan-Film „Memento“, dessen mysteriöse Atmosphäre Vetter zu spannungsreichen Leinwandarbeiten und Plastiken animiert. Wie ausschnitthafte Film-Stills, aufgeladen mit subtilem Schrecken und dunkler Vorahnung , wirken denn auch einige seine Bilder, die er in der Galerie Schlag zeigt. Ein Kronleuchter zeugt da vom erkennbar schweren „Beben“, der Riesen-Lolly kündet schon mehr von Bedrohung als Belohnung. Und auch die Cupcakes, die Vetter großformatig ins Bild rückt, wirken ebenso verlockend wie sündig. Auf dem Gemälde „Zu guter Letzt“ wirft die fast abgebrannte Kerze kaum noch Licht auf den tiefschwarzen Hintergrund.

Kunst mit Durchblick schafft hingegen der gebürtige Essener Dirk Hupe. Die Transparenz der oft mehrschichtigen, mit Montagefolie oder Farbschlieren überzogenen Bildobjekte ist ein wichtiger Aspekt seiner Arbeit. Worte, Buchstaben und Zitatfetzen werden so wie durch einen Schleier, eine Scheibe wahrgenommen und gleichzeitig in ihrer Wahrnehmung verstärkt. „ver-buchungen“ heißt die aktuelle Werkschau in der Galerie Schlag, die verschiedene Serien wie „Wittgenstein meets Becket“ oder „the beastly theory of images and signs“ vorstellt. Literarischerische Fundstücke, die Hupe zu künstlerischen Arbeiten mit ganz eigener Aussage verarbeitet.

<<LITERATURVIERTEL-FEST STARTET BEI SCHLAG

  • Die Ausstellungen „Renate Neuser: Skulptur“ und „Peter Puklus: The Epic Love Story of a Warrior“ sind bis zum 12. Mai im Kunsthaus Essen, Rübezahlstraße 33, zu sehen. Zeiten: Do bis So 15-18 Uhr.
  • Die Galerie Frank Schlag & Cie. zeigt die Ausstellungen Johannes Vetter „Memento“ und Dirk Hupe „ver-buchungen“ bis 15. Mai, Teichstraße 9. Zeiten: Di bis Fr 10-19 Uhr, Sa 10-16 Uhr.
  • Am Freitag, 26 April, 20 Uhr, findet in der Galerie Schlag der Auftakt des Literaturviertel-Festes statt (siehe Kasten unten). Kulturdezernent Muchtar Al Ghusain und Vor-Vorgänger Oliver Scheytt spielen vierhändig Klavier, Renate Heuser, Beate Scherzer und Norbert Wehr lesen aus dem Schreibheft-Dossier „100 Jahre Menschheitsdämmerung