Essen. . Hedi Kriegeskotte kennt das Revier seit Kindertagen. In „Der Junge muss an die frische Luft“ spielt sie nun die Oma des jungen Hape Kerkeling.
Über zwei Millionen Besucher in vier Wochen! Die Verfilmung von Hape Kerkelings Autobiografie „Der Junge muss an die frische Luft“ ist auf dem besten Weg, einer der größten deutschen Kinoerfolge zu werden. Vor allem der ungeheure Charme des elfjährigen Julius Weckauf als kleiner Hape Kerkeling begeistert das Publikum. Aber auch die in Essen groß gewordene Schauspielerin Hedi Kriegeskotte sorgt als Omma Änne mit ihrer herrlich patenten Ruhrpott-Aura für eine gute Portion Authentizität.
„Ich schöpfe als Schauspielerin unendlich viel aus der Familie“
Hedi Kriegeskotte ist wie Hape Kerkeling ein Kind des Ruhrgebiets. Groß geworden in Essen-West. Und wie Kerkeling hat die Kindheit zwischen Zechenanlage und Kleingarten auch sie geprägt.
Im Hause Kriegeskotte prallen damals sogar zwei Bergwerks-Welten aufeinander. Der Opa väterlicher Seits aus Bochum fährt noch ein. Die Mutter kommt aus einer Steiger-Familie. „Für eine Schauspielerin ist das Gold wert. Ich kann die Dame sein, aber auch die Malocherfrau, beides ist in mir“, erklärt die 69-Jährige. „Ich schöpfe als Schauspielerin unendlich viel aus der Familie.“
Für Kriegeskotte, die heute zwar in Hamburg lebt, aber durch ihre Schwestern immer noch engen Kontakt ins Ruhrgebiet hat, war die Weltpremiere in der Lichtburg dann auch ein echtes Heimspiel. Vis-a-vis des Grillo-Theaters, wo sie schon als Elfjährige in „Peterchens Mondfahrt“ auf der Bühne stand. Ein Auftritt, den sie bis heute gerne erinnert. „Ich war selig! Und danach war einfach klar, dass ich was mit dem Theater zu tun habe.“
Elf Jahre ist inzwischen auch Julius Weckauf, der Junge aus Jüchen, der als kleiner Hans-Peter momentan die Kinonation berührt. Auch Hedi Kriegeskotte ist das pausbäckige Naturtalent sofort ans Herzen gewachsen. Dabei hatten die beiden gleich am ersten Drehtag eine der schwierigsten Szenen des Films miteinander zu drehen. Da prophezeit Hedi Kriegeskotte dem kleinen Hans-Peter als Omma Änne schon fast im Sterben auf dem Wohnzimmersofa seine große Zukunft : „Aus dir wird mal wat ganz Besonderes werden! Du wirs berühmt.“
Auch dem kleinen Julius zeichnen nicht wenige eine große Karriere voraus. „Er hat so eine natürliche Leichtigkeit“, sagt Kriegeskotte. Schon beim ersten gemeinsamen Spielenachmittag, bei dem sich die Film-Omas, Hedi Kriegeskotte und die ebenso wunderbare Ursula Werner, mit ihrem Film-Enkel zum ersten mal getroffen habe, sei klar geworden „ wie lebendig und pfiffig“ dieser Junge ist. Da wurden erst mal gemeinsame Luftballons jongliert und Reaktionsübungen gemacht. “Wir waren sofort ein Team.“
„Ich wünsche eigentlich niemandem den Beruf, weil er einem so viel abverlangt“
Ob Julius am Ende auch so eine bemerkenswerte Karriere macht, wie sie Hedi Kriegeskotte über Jahrzehnte erreicht hat, wird sich zeigen. „Ich wünsche eigentlich niemandem den Beruf, weil er einem so viel abverlangt. Man muss das unbedingt wollen. Nur dann hat man einen tollen Beruf“, sagt Kriegeskotte, die unter anderem am Bochumer Schauspielhaus, am Staatstheater Stuttgart und am Deutschen Schauspielhaus Hamburg engagiert war. Das Fachblatt „Theater heute“ nominierte sie zweimal als „Schauspielerin des Jahres“. Auch in etlichen Film- und Fernsehproduktionen war sie dabei, von „Tatort“ bis „Soko“, aktuell erlebt man die gefragte Schauspielerin in der RTL-Comedyserie „Magda macht das schon“.
Für den ungeheuren Erfolg von „Der Junge muss an die frische Luft“ hat Hedi Kriegeskotte viele Erklärungen. Da sei zum einen diese „phantastisch authentische Ausstattung“, die sie beim Betreten der Wohnküche sofort in die eigene Kindheit zurückversetzt habe. Vor allem aber habe es die Regisseurin Caroline Link geschafft, mit großer Leichtigkeit und Alltäglichkeit große Lebensfragen anzusprechen. „Auch die tragischen Momente kommen ganz unspektakulär daher“, erklärt die gebürtige Oberhausenerin. So sei eine absolut treffende Zeichnung dieses Menschenschlages im Ruhrgebiet gelungen, mit dieser etwas „liebevollen Grobheit“ und der Lebensmaxime: „Nur kein Gedöns“.
„Wir sind alle ganz glücklich aus dem Film herausgegangen“
Ein bisschen „Gedöns“ werden Kriegeskotte und ihre Kollegen in nächster Zeit gewiss noch erleben. Der Film ist auf dem besten Wege, national und womöglich auch international abzuräumen. Schließlich geht es den meisten Zuschauern wie ihr und dem gesamten Filmteam nach der Premiere in Essen: „Wir sind alle ganz glücklich aus dem Film herausgegangen.“ Berührt und ein bisschen auch getröstet. „Denn das wird in diesem Film deutlich: Man muss sich fürs Leben entscheiden, trotz aller Widrigkeiten. Das ist es, was den Zuschauer so tief berührt.“
>> HEDI KRIEGESKOTTE SOLLTE LEHRERIN WERDEN
- „Der Junge muss an die frische Luft“ ist die Verfilmung von Hape Kerkelings autobiografischem Bestseller. Die Tragikomödie spielt im Recklinghausen der 1970er-Jahre.
- Hedi Kriegeskotte, Jahrgang 1949, hat bis zu ihrem Abitur in Essen gelebt. Vor ihrer Ausbildung an der Hochschule für Musik und Theater Hannover hat sie noch zwei Semester Germanistik studiert, denn der Vater wollte eigentlich, dass sie Lehrerin wird.