Essen. Das neue „Streifzüge“-Buch des Essener Architektur-Autors Robert Welzel widmet sich den baulichen Zeugnissen und Relikten des Jugendstils.

Wenn es einen Kenner der Essener Architektur- und Wohnungsgeschichte gibt, dann ist das Robert Welzel. Seit Jahren liefert der hauptberufliche Mitarbeiter im Kulturamt immer wieder hochinteressante Bücher und Aufsätze, die das Wissen über das Werden und Wachsen der Stadt Essen maßgeblich gefördert haben. Teil 3 seiner im Klartext-Verlag erschienenen Buchreihe „Essener Streifzüge“ ist jetzt erschienen und beschäftigt sich mit einem Thema, das man in Essen nicht unbedingt verorten würde: dem Jugendstil.

Straßenname und Ornament passen: Haus Florastraße 9 in Rüttenscheid.
Straßenname und Ornament passen: Haus Florastraße 9 in Rüttenscheid. ©

Und kaum zu glauben, trotz der Kriegsverluste und der Abrisswut der Nachkriegsjahre hat Welzel in Essen rund 3000 Beispiele gefunden für die Präsenz dieses Baustils, hauptsächlich natürlich an Wohnhaus-Fassaden. Aber auch an Kirchen, Repräsentationsgebäuden, Brunnen und Denkmälern sind die Formen und Ornamente zu finden. Ganz altmodisch läuft Welzel mit der Kamera die Essener Straßen ab und verschafft sich auf diese Weise einen umfassenden, ja fast enzyklopädischen Überblick.

Jugendstil ist ein Wort, das mancher als Sammelbegriff für alte Häuser benutzt. Tatsächlich markiert es aber eine Phase, die ab etwa 1900 für maximal ein Jahrzehnt das Baugeschehen in den deutschen Städten bestimmte.

Meist kommt der Jugendstil in Essen sehr bescheiden daher

Es waren allerdings wirtschaftlich ungemein dynamische Jahre, gerade auch in Essen, das um diese Zeit eine großflächige Stadterweiterung etwa Richtung Rüttenscheid und einen ungeheuren Bau-Boom erlebte. Der Jugendstil brach bewusst mit dem freudlosen Protz und Prunk des so genannten Historismus und hat bis heute mit seinen geschwungenen Linien und weichen Formen viele Freunde.

Essen ist eine Stadt, die nur hie und da die großbürgerliche Pracht kennt, wie sie etwa auf den Boulevards von Weltstädten wie Berlin, Paris oder Barcelona kilometerlang zu besichtigen ist. Meist kommt der Jugendstil in der Ruhrstadt bescheiden daher, und gerade einige tatsächlich großartige Beispiele gibt es nicht mehr. Hauptwerk ist wohl der städtische Saalbau, der wie die gesamte alte Huyssenallee im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde und später im nüchternen Stil der 1950er Jahre wieder aufgebaut wurde.

Begrenzung auf drei Wohngeschosse war gut gemeint, wirkt aber bis heute etwas provinziell

Was Essen heute ein wenig provinziell wirken lässt, nämlich die geringe Höhe der Häuser, war einmal gut gemeint: Weil Mietskasernenviertel als Brutstätten für Krankheiten und soziale Verwahrlosung galten, trafen die Stadtväter eine weitreichende Entscheidung: „Schon kurz nach 1900 wurden große Teile der Stadt auf drei Wohngeschosse begrenzt, die naturgemäß weniger prächtig wirkten“, schreibt Robert Welzel. Bis heute gibt dies den Essener Vierteln ein eher mittelstädtisches Gepräge.

Vom Villenviertel zur Problemlage: Die Dienstvilla von OB Erich Zweigert um 1900 an der Ecke Bismarck-/Friedrichstraße. Heute steht an dieser Stelle  ein immer noch gewöhnungsbedürftiges Wohnhochhaus an einer vielbefahrenen Kreuzung.
Vom Villenviertel zur Problemlage: Die Dienstvilla von OB Erich Zweigert um 1900 an der Ecke Bismarck-/Friedrichstraße. Heute steht an dieser Stelle ein immer noch gewöhnungsbedürftiges Wohnhochhaus an einer vielbefahrenen Kreuzung.

Der Autor zeigt Entwicklungen auf, präsentiert Gebäude aus den Jahren 1894 bis 1918, die die Bandbreite des künstlerischen Aufbruchs ebenso zeigen wie die damalige Dynamik einer zukunftsgewandten Industriestadt.„Die Essener Streifzüge vermitteln als reich bebilderter Stadtführer wissenschaftlich fundiertes Wissen in unterhaltsamer Form“, urteilt OB Thomas Kufen. Sowohl Laien als auch Architekturkundige, Einheimische wie Besucher der Stadt seien angesprochen. „Dieses Buch macht neugierig, die Stadt zu erkunden und ihren besonderen Charakter kennen zu lernen.“ Da will man nicht widersprechen.

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Die „Essener Streifzüge“ – der vorliegende Band ist der dritte aus der Reihe – erscheinen in Kooperation der Stadt Essen mit dem Historischen Verein für Stadt und Stift Essen und der Geno Bank Essen, die schon öfter Bücher zur Stadtgeschichte gesponsert hat.

Das Buch ist im Klartext Verlag erschienen, hat 240 Seiten und zahlreiche Abbildungen und kostet 12,95 Euro.