Essen. . Dem Handwerk gehen die Fachkräfte aus. Es bietet deshalb Ungelernten jetzt eine Teilqualifizierung an. Auch andere Wirtschaftszweige im Gespräch.
Seine Ausbildung hat Tuncay Sevim vor Jahren abgebrochen und lange als Helfer am Bau gearbeitet. „Ich wollte nach der Schule schnell Geld verdienen“, sagt der heute 41-Jährige. Doch dann musste er seine Arbeit aus privaten Gründen aufgeben und plötzlich stand er da: arbeitslos und ungelernt.
Seit Anfang Oktober fährt Tuncay Sevim täglich zur Kreishandwerkerschaft in die Katzenbruchstraße und drückt dort wieder die Schulbank. Er hat eine so genannte Teilqualifizierung im SHK-Handwerk (Sanitär, Heizung, Klima) begonnen. Die gibt es in dieser Form erstmals in Essen: Die Teilnehmer können die eigentlich dreieinhalb Jahre dauernde Ausbildung in einzelnen Bausteinen durchlaufen, die jeweils sechs Monate dauern. Nach jeder Etappe gibt es ein Zertifikat. Und wenn es Tuncay Sevim am Ende sogar schafft, alle sechs Module durchzuhalten, kann er auch die Gesellenprüfung ablegen.
Teilqualifizierung bald auch im Elektro- und Malerhandwerk
Die Teilqualifizierung soll eine Motivation vor allem für diejenigen sein, die skeptisch sind, ob sie eine Ausbildung über dreieinhalb Jahre durchhalten. Wer es nicht schafft, hat wenigstens eine Qualifikation als Fachkraft und kann dem späteren Arbeitgeber bestimmte Kenntnisse nachweisen.
Zielgruppe für diese neue „Ausbildung light“ sind vor allem Ältere ohne Berufsabschluss. Denn sie hätten auf dem normalen Ausbildungsmarkt kaum noch eine Chance. Allerdings werden in bestimmten Berufen bereits die Fachkräfte knapp. Das SHK-Handwerk gehört ganz vorn mit dazu, bestätigt Wolfgang Dapprich, Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft. Im Januar will das Essener Handwerk die Teilqualifizierung aber auch im Elektro- und Malerhandwerk anbieten.
Gute Möglichkeit auch für Flüchtlinge
Tuncay Sevim ist derzeit einer von vier Teilnehmern im neuen Ausbildungskurs. Sie alle haben keinen oder einen veralteten Berufsabschluss und keinen „Bock mehr, nur als Hilfsarbeiter mit einem Niedriglohn abgespeist zu werden“, sagt sein Kollege Stefan Duda (37). Eigentlich wollten alle anfangs nur ein Modul abschließen. Mittlerweile sind sie aber entschlossen, „das Ding bis zum Ende durchzuziehen“.
Auch Akram Malnde aus Syrien gehört dazu. Der 31-Jährige kam vor drei Jahren nach Deutschland und spricht schon recht gut deutsch. Über einen Schnupper-Kurs in der Kreishandwerkerschaft kam er an die Ausbildung. Nun sitzt er täglich in der Vier-Mann-Klasse von Ausbilder Hussein El-Hassan und hat eine besonders enge Betreuung, die es in der Berufsschule so nicht gäbe. „Das ist schon ein großer Vorteil für die Teilnehmer“, meint El-Hassan.
Was die Kreishandwerkerschaft nicht verschweigt: Sie hätte gerne zwölf Plätze besetzt, aber nur die vier Interessenten gefunden. Sie wurden von der Arbeitsagentur bzw. vom Jobcenter vermittelt. Die Teilnahme ist freiwillig. Was Dapprich wiederum für einen Vorteil hält: „Die Teilnehmer hier sind motiviert, pünktlich und zuverlässig.“
Auch die Industrie- und Handelskammer Essen will einige ihrer Berufe für eine Teilqualifizierung öffnen. Im Blick hat sie den Handel, die Hotel- und Gastronomiebranche, die Lagerwirtschaft und Berufe Industrie- und Zerspanungsmechaniker.
Es ist freilich eine Gratwanderung, die die Wirtschaft damit wagt. Die Gewerkschaft jedenfalls beobachtet es argwöhnisch: „Die originäre Ausbildung darf nicht ausgehöhlt werden“, fordert Essens DGB-Chef Dieter Hillebrand.