Essen. . „Krieg. Macht. Sinn“: Ruhr Museum wagt neuen Blick auf weltweite Konflikte, Flucht und Verfolgung. Veränderte Erinnerungskultur steht im Fokus.

„Krieg. Macht. Sinn.“ steht über der aktuellen Sonderausstellung im Ruhr Museum. Man kann die Begriffe als eine Reihe von Schlagwörtern lesen oder als ganzen Satz, man kann sie mit einem gedanklichen Fragezeichen versehen, aber auch als Provokation verstehen. „Krieg. Macht. Sinn“: Auf Zollverein sind die drei Begriffe nun Anlass für eine vielschichtige Auseinandersetzung mit den Ursachen und Folgen von Krieg, Flucht und Vertreibung. Die ebenso komplexe wie komprimierte Galerie-Schau geht nicht nur der Frage nach, warum es trotz vieler Millionen Toten und weltweiter Flüchtlingsströme immer wieder Kriege gibt. Sie will auch wissen, wie und warum sich Erinnerungskultur über die Zeit verändert und moralische Fundamente dabei offenbar so stark verrücken, dass sich ein neues rechtes Denken zunehmend Bahn bricht.

© Ruhr Museum

Ausgangspunkt der Ausstellung ist der 100. Jahrestag des Endes des 1. Weltkriegs. Doch die 200 ausgestellten Exponate vom serbischen Stahlhelm aus dem Bosnienkrieg bis zur Alliierten-Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg wollen mehr bieten als eine Rückschau auf „Krieg“, „Bombenkrieg“, „Völkermord“ oder „Flucht und Vertreibung“, die vier Themenblöcke der Schau. Sie sollen auch Anstoß geben und Anlass sein, alternative, auch provokante Meinungen wahrzunehmen und auszuhalten.

Heroische Tat oder sinnloses Töten

So zeichne sich ab, dass sich Teile der Bevölkerung mit der Fokussierung auf die Opfer von Krieg und NS-Gewaltherrschaft, also mit der „kosmopolitischen Erinnerungskultur“ nicht mehr identifizieren können, sagt Wulf Kansteiner, der an der Universität Aarhus zur Erinnerungskultur forscht. Er sieht inzwischen die „agonistische Erinnerungskultur“ am Zug, die auch Kontroversen, gegensätzliche Perspektiven und die Tätersicht zulässt. Diese andere Wahrnehmung zeigt sich in der Schau auch ganz plakativ, wenn die filmische Behandlung des Judenmordes vom Klassiker „Holocaust“ bis zu Quentin Tarantinos „Inglourious Basterds“ thematisiert wird, in dem die Nazis zur zynischen Witzfigur verkommen. Oder wenn Rapper wie Kollegah von Auschwitz-Insassen singen.

Ob der Krieg nun eine heroische Tat oder sinnloses Töten ist, das ist eben auch eine Frage der Perspektive und die verändert sich über die Jahre. „Kriegsirrsinn ist historisch leicht darzustellen“, sagt Ruhr Museums-Direktor Theodor Grütter. Doch je weiter man in die Gegenwart gerückt sei, desto problematischer sei die Entscheidung gefallen, welche Objekte und Positionen man mit in die Ausstellung fließen lassen wollte. „Wir wollen die Vielstimmigkeit in der Gesellschaft abbilden“, erklärt Kansteiner. Dass dabei zwischen Aussagen von Heinrich Böll bis Joschka Fischer auch das viel gescholtene Gauland-Zitat vom Nationalsozialismus als „Fliegenschiss der Geschichte“ Eingang findet, ist schlüssige Folge und Wagnis dieser Ausstellung, die bei aller komplexen Theorielast auch starke Bilder und kuriose Exponate zeigt, wie das „als ultimativer Schutz“ beworbene Kondom – Werbegeschenk eines Gasmaskenherstellers auf einer Waffenmesse.

© Ruhr Museum

Vier große Themenblöcke bilden das Gerüst der Schau, die weder explizit chronologisch noch geografisch gegliedert ist, sondern in Bögen Verbindungen schlägt vom Andenken an die gefallenen Helden des 1. Weltkriegs zum Selbstmordattentäter, der sich in Mossul in die Luft sprengt, von der Vertreibung armenischer Flüchtlinge bis zum Syrien-Krieg. Das Industriemodell eines Kampfpanzers Leopard 2 gehört ebenso zu den Exponaten wie Kriegstagebücher von Ernst Jünger und der Stahlhelm des Soldaten, den er auf dem Feld erschossen hat. Studenten der Universität Bath, die Teil des internationalen Kooperationsprojekts sind, haben für die Ausstellung zwei Videospiele entwickelt, in denen auch der Besucher zum Kriegsgewinnler und heimlichen Komplizen werden kann.

„Krieg ist immer Produkt politischer Auseinandersetzung. Diese wollen wir in die Schau hineintragen“, sagt Kansteiner. Und so darf auch diskutiert werden über spannungsvolle Nachbarschaften: wenn die Rettungsweste eines Bootsflüchtlings neben der Uniform eines Isis-Kämpfers zu sehen ist und die Urne aus dem KZ Buchenwald vis-à-vis von Hitlers „Mein Kampf“.

Informationen über die Ausstellung

Die Ausstellung „Krieg. Macht. Sinn. Krieg und Gewalt in der europäischen Erinnerung“ ist vom 12. November bis zum 30. April 2019 im Ruhr Museum, Gelsenkirchener Str. 181, zu sehen. Mo bis So 10 bis 18 Uhr, Eintritt 3/erm. 2 Euro.

Der Katalog zur Ausstellung wird erst im kommenden Jahr vorgelegt und präsentiert gleichzeitig auch die Ergebnisse einer Besucherbefragung. Infos und Buchung von Führungen unter Tel.: 0201-24681 444 und besucherdienst@ruhrmuseum.de