Eigentlich ist das sein Job – die Leute zu überraschen. Diesmal aber hat das Publikum zunächst Thomas Krupa überrascht. Mit der Wahl des Eröffnungsstücks „Der Besuch der alten Dame“, für das sich die Mehrheit der Leser dieser Zeitung anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des Grillo-Theaters ausgesprochen hat, ist der Regisseur auf besondere Weise herausgefordert worden. „Bis vor kurzem hätte ich noch gedacht, dass ich das Stück nie inszenieren würde“, gesteht Krupa. Doch obwohl Dürrenmatts vielfach interpretierte Tragikomödie vielen vor allem als Schullektüre, als „Abiturthema mit Sternchen“ gilt, hat Krupa sich der Vorlage ganz unvoreingenommen und gänzlich „ironiefrei“ genähert und am Ende einen echten Schatz gehoben. „Das Stück ist perfekt gebaut“, schwärmt Krupa über ein Theaterstück, das in Essen auch seine Nähe zu surrealen Welten von Kafka bis David Lynch spiegeln wird. Ein Mystery-Bühnenerlebnis aus der Schweiz.
Eigentlich ist das sein Job – die Leute zu überraschen. Diesmal aber hat das Publikum zunächst Thomas Krupa überrascht. Mit der Wahl des Eröffnungsstücks „Der Besuch der alten Dame“, für das sich die Mehrheit der Leser dieser Zeitung anlässlich des 125-jährigen Jubiläums des Grillo-Theaters ausgesprochen hat, ist der Regisseur auf besondere Weise herausgefordert worden. „Bis vor kurzem hätte ich noch gedacht, dass ich das Stück nie inszenieren würde“, gesteht Krupa. Doch obwohl Dürrenmatts vielfach interpretierte Tragikomödie vielen vor allem als Schullektüre, als „Abiturthema mit Sternchen“ gilt, hat Krupa sich der Vorlage ganz unvoreingenommen und gänzlich „ironiefrei“ genähert und am Ende einen echten Schatz gehoben. „Das Stück ist perfekt gebaut“, schwärmt Krupa über ein Theaterstück, das in Essen auch seine Nähe zu surrealen Welten von Kafka bis David Lynch spiegeln wird. Ein Mystery-Bühnenerlebnis aus der Schweiz.
Szenisch aufpoliert und im neuen Gewand eines Musiktheaters erlebt man das Dürrenmatt-Stück ab Freitag im Grillo-Theater. Der Bassist, Komponist und Klangkünstler Hannes Strobl hat dazu zusammen mit Thomas Krupa eine eigene Partitur geschrieben, die er derzeit nicht nur mit den Schauspielern einstudiert, sondern auch bei jeder Vorstellung live mit Bass und Elektronik aufführen wird. Die Bühne wird zum Klangraum und spielt mit dem Zustand einer Gesellschaft im akuten Verrohungs-Modus. Eine „ziemlich abgerockte Shopping-Mall“ scheint Krupa die ideale Spielfläche für diesen Zustand der Zombisierung. Oben rattern die Züge, unten türmt sich der Müll. Dazwischen vegetiert ein „postzivilisatorisches Völkchen“, das längst abgehängt ist von den Errungenschaften des Wohlstands und des Kapitalismus. Wenn dann Claire Zachanassian, die reiche Heimkehrerin, in diesem verkommenen Güllen eintrifft und den Bewohnern eine Milliarde verspricht – vorausgesetzt, sie bringen dafür ihren ehemaligen Lover Alfred Ill um die Ecke , der sie einst schwanger sitzen ließ und verleugnete – dann wandelt sich nicht nur die Moral, sondern auch das Szenenbild. Aus der elenden Umgebung der entseelten Wohlstands-Zombies wird irgendwann eine Hochglanzwelt, die Strobl mit den Mitteln des urbanen Klangraums entsprechend hör- und sichtbar macht. Da wird Geräusch zur Kulisse, Sprache zum Klang. Und der neu arrangierte Abba-Song, der den Einbruch des neuen Wohlstands bewusst poppig und profan gestaltet, sorgt für einen unerwarteten Musical-Moment in dieser Tragikomödie, die das Comedy-Element nicht verschmäht, um die menschliche Tragödie umso spürbarer zu machen.
Begegnung mit einem Cyborg
Entstanden ist das Dürrenmatt-Stück 1956 vor der Folie des Wirtschaftswunders. Wie es in die Gegenwart spielt, das zeigt Krupa mit dem Auseinanderfallen einer Polis, einer Gesellschaft, die ihr Gewissen verkauft, um den Glauben an Wohlstand und Wirtschaftswachstum nicht zu verlieren.
Die alte Dame, die Ines Krug in der Essener Inszenierung spielt, sei dabei keine klapprige Schachtel, sondern eine Frau, die sich als Ersatzteil-ausgerüstete Menschmaschine längst für die Herausforderungen der Zukunft aufgestellt hat. „Wie viel Mensch, wie viel Cyborg steckt in dieser Figur“, fragt Krupa und lässt das Dürrenmatt-Stück damit endgültig in der Gegenwart ankommen.