Ein genaues Gründungsdatum kann niemand benennen, und doch hat die Essener Kreisgruppe des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes Essen dieser Tage ihren 60. Geburtstag gefeiert. Denn in den Jahren 1952/53 hatten sich in Essen Vereine wie Blindenhilfswerk oder Erwerbsbehinderten-Arbeitsstätte zusammengetan, um den von den Nazis aufgelösten Paritätischen Wohlfahrtsverband wiederzubeleben.

Der wollte seit seiner Gründung 1924 all jenen wohltätigen Einrichtungen ein Gesicht geben, die weder kirchlich noch politisch gebunden waren. Das führte zu einer enormen Vielfalt der Mitglieder, so dass sich der Essener Geschäftsführer Friedrich Berkau 1953 sorgte, der Paritätische könnte als „wirrer Haufen“ da stehen. Geschlossenheit aber war schon deshalb wichtig, weil es in der Stadtpolitik und bei den etablierten Wohlfahrtsverbänden Widerstände gab, auch den Paritätischen in die Ausschüsse im Rathaus aufzunehmen. Über eine „fast feindlich zu nennende Einstellung“, klagte Berkau damals.

Heute ist der Paritätische längst ein anerkannter Gesprächspartner, der in Essen 106 Mitgliedsorganisationen vertritt – von der kleinen Eltern-Initiative bis zum Arbeiter-Samariter-Bund, von den Essener Kontakten bis zum Verband Alleinerziehender Mütter und Väter. Er ist demnach Vertretung für 4000 ehrenamtliche und 4200 hauptamtliche Mitarbeiter.

Das Logo gilt als Gütesiegel

Und während es gerade in den Nachkriegsjahren um die Fürsorge für Versehrte und Verwaiste ging, während Suppenküche und Haustürsammlungen die Arbeit bestimmten, hat man es in den späteren Jahren immer mehr mit Selbsthilfe und Ansprüchen auf Teilhabe zu tun. „Behindertenbewegung, Frauenbewegung, die Aidshilfe – all diese Entwicklungen spiegeln sich bei uns wider“, sagt Ingrid Kilz, seit 1999 Geschäftsführerin des Paritätischen in Essen. In den 1960er Jahren gründete der Verband gemeinsam mit der Arbeiterwohlfahrt Essen auf Rädern (Mahlzeitendienst), heute bietet er kleineren Mitgliedern betriebswirtschaftliche und arbeitsrechtliche Beratung. Außerdem nutzen kleine Vereine das Logo des Paritätischen als Gütesiegel. „Wir prüfen daher genau, wen wir aufnehmen“, sagt der ehrenamtliche Vorsitzende Dirk Heidenblut.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Heidenblut trifft im überparteilichen Wohlfahrtsverband zum Beispiel auf den Linke-Ratsherren Hans-Peter Leymann-Kurtz oder auf die Christdemokratin Ingeborg Schrader. Die Vorsitzende des Seniorenbeirates hat jetzt über ihre erste Mitgliedversammlung in der Zeche Carl gesagt: „Da waren Typen, die waren mir wirklich fremd, ihr Aussehen, ihre Sprache.“ So gesehen ist der Paritätische noch immer ein wirrer Haufen, aber einer, in dem man zu gesellschaftlichen Themen wie Kinderarmut oder Integration gemeinsam Stellung bezieht. Ingrid Kilz formuliert das so: „Früher spottete man, wir seien der Lumpensammler der Wohlfahrtspflege, weil wir quasi jeden aufnähmen. Heute ist sind wir in unserer Vielfalt eine Marke.“