Essen..

Das „Haus der Essener Geschichte“ erinnert an die Essener Jüdin Marianne Ellenbogen, die den Nazis entkommen konnte. Der britische Historiker Mark Roseman hat sich intensiv mit dem Schicksal der Frau befasst.

Es ist ein überlebensgroßes Porträt und nicht allein deshalb sticht es heraus aus den vielen Fotografien in der neuen Ausstellung im „Haus der Essener Geschichte“. Das Bild zeigt eine junge Frau mit dunklem Haar, großen wachen Augen und vollen Lippen. Ein Bild, das Blicke auf sich zieht. Aufgenommen wurde es im Jahr 1939. Marianne Ellenbogen, geborene Strauß, ehemalige Luisenschülerin, lebt da noch mit ihren Eltern, dem Ehepaar Siegfried und Regina Strauß, in behüteten Verhältnissen in der Ladenspelderstraße 47 in Holsterhausen - trotz des Nazi-Terrors, der immer mehr um sich greift. Nur wenige Jahre später, im Sommer 1943, sind die Strauß’ „wahrscheinlich die letzte volljüdische Familie im Ruhrgebiet“, weiß der britische Historiker Mark Roseman. Nur Marianne sollte den Holocaust überleben. Als eine der wenigen Juden gelang es ihr unterzutauchen und bis Kriegsende in Deutschland auszuharren.

Dass die Ausstellung im „Haus der Essener Geschichte“ an ihr Schicksal erinnert, ist auch Rosemans Verdienst. Der Professor für Geschichte an der Universität von Indiana hat über das Leben von Marianne Ellenbogen ein ergreifendes, ja ein packendes Buch geschrieben. Es ist die Geschichte einer abenteuerlichen Flucht, die am 31. August 1943 ihren Anfang nimmt, als Beamte der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) in das Wohnhaus an der Ladenspelderstraße eindringen und die Familie auffordern, sich für den Abtransport fertig zu machen. Zwei Stunden Zeit bleibt den Strauß’, um die notwendigsten Sachen zusammen zu packen. Marianne nickt ihrer Mutter noch einmal zu. „Sie hat dann in einem unbewachten Augenblick das Haus verlassen“, heißt es im Bericht der Gestapo, den Roseman im Düsseldorfer Hauptarchiv entdeckte und der ihn zum Titel seines Buches inspirierte. Eine Kopie des Schriftstücks hängt im „Haus der Geschichte“ neben dem Porträt von Marianne Ellenbogen.

„Charmante und kultivierte Gesprächspartnerin“

Wie Mariannes Eltern, die nach Auschwitz deportiert werden, wird auch Ernst Krombach ein Opfer der Mordmaschinerie. Marianne Ellenbogen überlebt. Wie? Darauf stieß Mark Roseman erst nach ihrem Tod im Dezember 1996, als er in ihrem Nachlass ihr Tagebuch fand. Erwähnt hatte sie es nie, erzählt Roseman.

Marianne Ellenbogen beschreibt er im Gespräch als charmante und kultivierte Gesprächspartnerin, „sehr stark, sehr selbstständig“. Nur so konnte sie überleben. Sie reist von A nach B, nach Mülheim, Wuppertal oder Braunschweig, mit der Bahn und mit der Straßenbahn, ohne Essensmarken, ohne Papiere, abgesehen von einer Ausweiskarte, ausgestellt von der Post und nur dort gültig, aber ohne den Zunamen „Sarah“, den Jüdinnen auf Anordnung der Nazis tragen mussten.

Kriegsende in Düsseldorf erlebt

Marianne schlägt sich durch mit viel Glück, mit Charme und Chuzpe. In einem überfüllten Restaurant setzt sie sich zu einem Wehrmachtoffizier an den Tisch. Es ist ein Spiel mit dem Feuer, das gefährlicher wird, je näher das Kriegsende rückt. Marianne gelingt es zu überleben, weil ihr Menschen helfen. Es ist der „Bund - Gemeinschaft sozialistisches Leben“, eine lose Gruppe naturbewegter Idealisten, politisch links, um das Essener Ehepaar Artur und Dore Jacobs. Sie selbst, Freunde und Bekannte gewähren Marianne Unterschlupf, teilen Lebensmittel, versorgen sie mit Kleidung. Wenn sie nicht wussten, dass sie sich in Gefahr brachten, so müssen sie es geahnt haben.

Über den Bund ist nur wenig bekannt. Nicht nur Marianne, mindestens zwei weiteren Juden rettete die Gruppe das Leben, berichtet Roseman. Er selbst habe durch Marianne Ellenbogen zum ersten Mal vom Bund gehört, nun ist die Widerstandsgruppe Gegenstand seiner Forschungen.

Marianne Ellenbogen erlebte das Kriegsende in Düsseldorf. Nach dem Einmarsch der Amerikaner sollte es zehn Tage dauern, bis sie sich in Sicherheit wähnte und bei den Behörden meldete. „Ich konnte dem Zauber nicht trauen“, sagte sie. So wie Roseman seinen Augen nicht traute, als er in ihrem Nachlass einen Ring mit einer Gravur fand. „Ernest März 1942“. Es war Mariannes Verlobungsring.