Essen. Unbekannte haben in der Nacht zu Sonntag Fahrzeuge und Türen der Essener Tafel mit Graffiti besprüht. Tafel-Chef spricht von einer “Sauerei“.

Die mehr und mehr aufgeheizte Stimmung um den Beschluss der „Essener Tafel“, bis auf weiteres keine Migranten mehr aufzunehmen, ist in der Nacht zu Sonntag eskaliert. Unbekannte beschmierten die Türen der „Tafel“ im Wasserturm an der Steeler Straße sowie mindestens sechs Fahrzeuge des Vereins, die dort parkten, mit Graffitti.

Die Täter hinterließen vermutlich mit Spraydosen die Worte „Nazis“ und „Fuck Nazis“, berichtete die Polizei am Sonntag. Der Staatsschutz ist eingeschaltet. Der Verdacht liegt nahe, dass es sich um eine politisch motivierte Straftat handelt.

Die Tür der Essener Tafel.
Die Tür der Essener Tafel. © Stefan Arend

Jörg Sartor, Vorsitzender der „Essener Tafel“, nannte die Sachbeschädigung im Gespräch mit der Redaktion „eine Sauerei“. Der Tat mochte Sartor aber nicht zuviel Bedeutung beimessen. Der Tafel-Chef nannte sie „Kinderschmiererei“. Die Frage, ob er in den vergangenen Tagen auch persönlich bedroht worden sei, verneinte der 62-Jährige. Er wolle erst in dieser Woche Anzeige gegen Unbekannt erstatten.

Aufnahme-Stopp für Ausländer löst bundesweites Echo aus

Tags zuvor hatte Sartor im Interview mit der Redaktion den umstrittenen Beschluss des Tafel-Vorstandes noch einmal verteidigt. Es habe unter den Nutzern durch den hohen Anteil „ein Ungleichgewicht“ gegeben. Kunden, aber auch Mitarbeiter hätten sich „nicht mehr wohl gefühlt“. Sartor betonnte dabei, dass Migranten nur vorübergehend nicht mehr als neue Kunden der Tafel aufgenommen würden. 75 Prozent der Nutzer sind nach Angaben des Vereins Migranten, ihr Anteil sei in den vergangenen Jahren stetig gestiegen.

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Die Entscheidung des Vorstandes hatte ein bundesweites Echo in Medien und Politik ausgelöst. Sartor bezeichnete die Kritik, wie sie unter anderem Bundessozialministerin Katarina Barley (SPD) geäußert hatte, als unangemessen und wörtlich als „eine Unverschämtheit“. Darüber hinaus sei es absurd, der Tafel vorzuwerfen, sie handele ausländerfeindlich und rassistisch.

Polizei Essen und der Staatsschutz ermitteln

Oberbürgermeister Thomas Kufen hatte, wie berichtet, Verständnis für den Beschluss der Tafel gezeigt und diesen als nachvollziehbar bezeichnet: Ohne eine solche Entscheidung wäre wohl zukünftig eine sozial ausgewogene und gerechte Verteilung nicht möglich.

Unterdessen äußern sich auch Mitarbeiter der Tafel: Am Sonntag nannte jemand, der namentlich nicht genannt werden will, die Entscheidung, vorerst keine Migranten mehr aufzunehmen, als „völlig gerechtfertigt“. Anders äußerte sich Mitarbeiter Herbert Jenkner, der seit 17 Jahren ehrenamtlich für die „Tafel“ arbeitet: „Ich schäme mich für diese Entscheidung, sie ist korrekturbedürftig.“ Den Beschluss hätte der Vorstand nicht im Alleingang fällen dürfen. Man hätte sich über andere Maßnahmen gründlich Gedanken machen müssen.

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Die Polizei sucht nun Personen, die den Vorfall in der Nacht zu Sonntag am Wasserturm beobachtet haben.Hinweise nehmen die Ermitller unter 0201/829-0 entgegen.

Informationen zur Essener Tafel

Wie viele Menschen erreicht die Essener Tafel?

In 13 Verteilstellen gehen die Lebensmittel jede Woche an rund 6000 Menschen. Die Tafel beliefert darüber hinaus nach eigenen Angaben knapp 110 soziale und karitative Einrichtungen wie Mittagstische in sozialen Brennpunkten oder Anlaufstellen für Obdachlose mit weiteren rund 10 000 Menschen. Bundesweit verteilen die Tafeln die Lebensmittel regelmäßig an bis zu 1,5 Millionen Bedürftige.

Wer macht die Arbeit?

In Essen sind es 120 ehrenamtliche Helfer, die Lebensmittel sammeln, sortieren und verteilen. Die Waren werden von Lebensmittelmärkten, Produzenten, Großhändlern und Bäckereien gespendet. Mit sechs Kühlfahrzeugen sammeln die Ehrenamtlichen die Waren ein und bringen sie zu den Ausgabestellen.

Wer darf zur Essener Tafel gehen?

Jeder, der seine Bedürftigkeit nachweisen kann: Empfänger müssen Hartz IV, Grundsicherung oder Wohngeld beziehen. In Essen erhalten die Kunden nach erfolgreicher Anmeldung eine Kundenkarte und eine feste Abholzeit einmal in der Woche. Bei der Anmeldung muss sich der Kunde entscheiden, an welcher der Verteilstellen er die Lebensmittel erhalten möchte. Jeder Erwachsene muss pro Ausgabe einen Euro Schutzgebühr bezahlen. Wer seinen Termin nicht einhalten kann, muss sich telefonisch abmelden. Wer das drei Mal versäumt, verliert die Berechtigung. (dpa)

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