Essen. Der Prozess um unterlassene Hilfeleistung an einem Rentner in einer Essener Bank ist vorbei. Verurteilte zieht Berufung “unter Protest“ zurück.

Der Tod eines hilflosen Rentners in einer Filiale der Deutschen Bank in Essen-Borbeck ist strafrechtlich abgeschlossen. Am Donnerstag zog eine 39 Jahre alte Essenerin ihre Berufung gegen ein Urteil des Amtsgerichts Essen-Borbeck zurück. Ihr wird vorgeworfen, den 83-Jährigen am Boden liegen gelassen zu haben, ohne Hilfe zu holen. Damit sind drei Verurteilungen wegen unterlassener Hilfeleistung rechtskräftig.

Richterin Luise Nünning, Vorsitzende der IV. Strafkammer am Landgericht Essen, hatte der selbstständigen Geschäftsfrau früh klar gemacht, was das Gericht von einer neuen Beweisaufnahme hält: „Ihre Berufung ist rücknahmereif.“ Sie, die Richterin, habe im Vorfeld das Überwachungsvideo aus der Bank gesehen. Das mache deutlich, dass die Verurteilung im vergangenen September rechtens sei.

Sterbenden Rentner ignoriert: Fall löst Diskussion über Gleichgültigkeit aus

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Der Fall hatte großes Aufsehen erregt und bundesweit eine Diskussion über die menschliche Gleichgültigkeit ausgelöst. Das Video zeigt, wie der 83-Jährige am 3. Oktober 2016 Geldgeschäfte im Vorraum der Bank tätigte, plötzlich stürzte und mit dem Hinterkopf aufprallte. Mehrfach rappelte er sich wieder auf, stürzte erneut und blieb schließlich in der Mitte des Raumes liegen. In weiteren Sequenzen zeigt das Band, wie Kunden die Filiale betreten, achtlos an dem Sterbenden vorbeigehen und Geld holen. Danach verlassen sie die Bank. Laut Anklage rief erst ein fünfter Kunde den Rettungswagen – nachdem auch er zunächst Geld abgehoben hatte. Der Rentner starb später im Krankenhaus, auch ein schnellerer Hilferuf hätte daran nichts geändert.

Vier der Kunden ermittelte die Polizei, ihnen wurde der Prozess in Borbeck gemacht. Sie verwiesen darauf, dass sie den Rentner für einen Obdachlosen gehalten hätten, der seinen Rausch ausschlief. Das komme in der Borbecker Filiale häufig vor.

Essenerin legte als Einzige Berufung ein

Das hatte ihnen der Borbecker Amtsrichter Karl-Peter-Wittenberg nicht abgenommen. Der Rentner habe sauber gewirkt und sei ordentlich gekleidet gewesen. Außerdem lege sich ein Obdachloser, dem natürlich auch geholfen werden müsse, zum Schlafen an den Rand und nicht in die Mitte des Raumes. Kurz: Die Angeklagten hätten billigend in Kauf genommen, „dass da jemand am Boden liegt und Hilfe benötigt“. Wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilte er sie zu Geldstrafen zwischen 2400 und 3600 Euro.

Die Essenerin, die als Einzige in Berufung vors Landgericht zog, hatte mit 90 Tagessätzen zu 40 Euro die höchste Strafe erhalten, weil sie nach Ansicht des Richters wenig Reue gezeigt habe. Am Donnerstag macht ihr Verteidiger Manfred Gregorius klar, dass seine Mandantin mit der Berufung einen Freispruch erzielen wolle. Sie habe den Mann nicht als Sterbenden wahrgenommen, sondern als Schlafenden.

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Doch sie kam gar nicht dazu, ihren Standpunkt dem Gericht zu verdeutlichen. Das hätte sie vielleicht einem Freispruch näher gebracht. Immerhin ist die kleine Strafkammer mit nur einer Berufsrichterin und zwei Schöffen besetzt. In diese Konstellation haben sogar die beiden Schöffen, die das Video bislang nicht gesehen haben dürften, das Recht, alleine einen Freispruch durchzusetzen.

Richterin bezeichnet Berufung als "aussichtslos"

Aber es reichte, dass Richterin Luise Nünning die Berufung als aussichtslos bezeichnete. Nach Rücksprache mit seiner Mandantin zog Verteidiger Gregorius die Berufung „unter Protest und aus Kostengründen“ zurück. Seine Mandantin scheue das Kostenrisiko, erklärte er später: „Es ist ja nicht mein Portemonnaie, deshalb muss man Verständnis zeigen. Aber ich hätte die Berufung gerne durchgezogen.