Essen. Hannelore Hildebrandt setzt sich als Betreuerin dafür ein, dass auch Demenzkranke eine Magensonde bekommen. Fachärzte halten davon meist wenig.
Seit fast zwei Jahrzehnten kümmert sich Hannelore Hildebrandt um demenzkranke Menschen. Als gesetzliche Betreuerin sei sie für Aufenthalt, Gesundheitsfürsorge, finanzielle und rechtliche Belange der Hochbetagten zuständig. „Meine Klientel ist alt, krank und hilflos, aber wer von mir betreut wird, sitzt nicht im Heim und wartet auf den Tod.“ Darum habe sie sich geärgert, dass Klinikärzte in verschiedenen Fällen neuerdings ablehnten, ihren hochbetagten Klienten eine Magensonde zu legen. Fachärzte sagen hingegen, für diese Ablehnung gebe es gute Gründe.
Die perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) ist ein künstlicher Zugang, der durch die Bauchdecke in den Magen führt und vor allem bei Patienten mit Schluckbeschwerden zu ihrer Ernährung eingesetzt wird. „Ende 2017 bat ich darum, einer 83-Jährigen eine PEG zu legen, weil diese am Ende ihres Krankenhausaufenthaltes wieder super stabilisiert war und eine 50-prozentige Chance hatte, wieder ein qualitativ gutes Leben zu führen“, erzählt Hildebrandt. Als Betreuerin habe sie im Sinne der alten Dame gehandelt und mit der Familie gesprochen.
„Man kann die Menschen doch nicht verdursten lassen“
Doch das Krankenhaus habe die PEG zunächst abgelehnt: „Es hieß, es gebe eine Empfehlung der Ethik-Kommission, über 80-jährigen Demenzerkrankten keine Sonde zu legen. Was heißt, dass man die alten Menschen verhungern und verdursten lässt“, sagt Hildebrandt. Sie konnte die Ärzte zum Umdenken bewegen, doch wenig später bekam sie im Fall einer 91-Jährigen eine ähnliche Absage. Dabei habe sie alte Menschen erlebt, die sich mit einer Magensonde wieder gut erholt hätten: „Man kann doch nicht willkürlich eine Altersgrenze ziehen, bis zu der es die PEG gibt.“
Eine solche Grenze gebe es auch gar nicht, sagt Prof. Ulrich Thiem, Chefarzt der Klinik für Geriatrie im Geriatrie-Zentrum Haus Berge. Aber eine klare Empfehlung aller Fachgesellschaften, bei einer fortgeschrittenen Demenz keine PEG zu legen. Demenzkranke könnten sich kaum zu ihrer Lebensqualität äußern, doch Studien zufolge bringe die PEG ihnen „kein spürbar besseres Ergebnis im Alltag“.
Kinder wollen den betagten Eltern die Qualen ersparen
Auch einen deutlich lebensverlängernden Effekt gebe es nicht. In den ersten 30 Tagen mit Magensonde nehme die Sterblichkeit sogar durch Komplikationen zu. Und auch mit der PEG könne sich der Patient verschlucken, was Lungenentzündungen auslösen könne. So empfehle auch die Deutsche Gesellschaft für Geriatrie eindeutig, fortgeschrittenen Demenzkranken keine Magensonde zu legen.
Er nehme die Sorge von Angehörigen aber ernst, dass Vater oder Mutter womöglich qualvoll verhungern oder verdursten müssten. Tatsächlich stelle der Körper das Hungergefühl irgendwann ab, und das quälende Durstgefühl könne man durch eine gute Pflege zumindest lindern, etwa indem man den Mund ausreichend anfeuchte.
Krankenhauskost blieb stehen – die Sahnetorte nicht
Die Beobachtung von Hannelore Hildebrandt, dass sich einige Demenzkranke mit der PEG wieder erholt hätten, könne indes durchaus zutreffen. „Wenn jemand vorher nicht gut versorgt war, kann eine Kalorienzufuhr auch die kognitive Leistung verbessern.“ Er halte jedoch mehr davon, hier mit Fingerfood oder Wunschkost zu arbeiten, weil damit auch Geschmack und Lebensqualität verbunden seien. Ein Punkt, bei dem Hildebrandt wohl zustimmen dürfte: „Ich habe einen Klienten, der das Krankenhausessen nicht anrührte, mal mit Sahnetorte aufgepäppelt.“
Als Betreuerin kämpfe sie bei jedem einzelnen Klienten dafür, dass in dessen Sinne entschieden werde. Wenn dieser Klient unzweifelhaft, vielleicht abgesichert durch eine Patientenverfügung, die PEG wünsche, würde auch Prof. Thiem darüber nachdenken. In jedem Fall sehe er das Dilemma der Betreuerin, „die sich als Anwältin des Patienten versteht“. Sie dürfe man nicht mit einer allgemeinen Empfehlung abspeisen, sondern müsse den Dialog suchen – „auch wenn das im Klinikalltag schwierig ist“.
>>DER VORLETZTE WILLE: RECHTZEITIG SCHRIFTLICH FESTLEGEN
Betreuerin Hannelore Hildebrandt empfiehlt, in einer Vorsorgevollmacht festzulegen, „wer meine Anliegen vertreten soll, wenn ich das nicht mehr alleine kann“. Daneben sollte man in einer Patientenverfügung festlegen, welche medizinischen Maßnahmen man wünsche/ablehne, wenn man darüber nicht mehr selbst entscheiden könne. Der Hausarzt könne dazu beraten.
Anette Ehrke-Schön, Sprecherin des Alfried-Krupp-Krankenhauses, sagt, auch in ihrem Haus halte man sich an die Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie, fortgeschritten Demenzkranken keine Magensonde zu legen. Man prüfe aber jeden Einzelfall: Im Ethik-Komitee der Klinik sitzen Ärzte, Seelsorger, Hospizdienst, die gemeinsam abwögen, was der beste Weg sei.