Essen. In Schönebeck wirbt ein Pastor offensiv für Erhalt seiner Kirche. Funktionierende katholische Gemeinde werde ohne Not um ihre Heimat gebracht.
Nirgendwo in Essen steht die Kirche so zentral, unübersehbar und dörflich eingebettet wie in Schönebeck. Kein Zufall wohl, dass es gerade hier ein Pastor derzeit wagt, frontal gegen den vom Bistum forcierten Sparkurs und den drohenden Abriss seines Gotteshauses zu protestieren.
In einem emotionalen Silvester-Gottesdienst trat der als kantig bekannte Pastor Benno Brengelmann vor seine zahlreich erschienene Gemeinde und verlas „zehn Gebote zum Erhalt der Gemeindekirche St. Antonius Abbas.“ Das großformatige Blatt wurde und wird freigebig verteilt und ziert wie ein Thesenanschlag auch einen Info-Kasten am Gotteshaus. Es ist eine Kampfansage an den Bischof, aber auch an die Großgemeinde St. Josef in Frintrop, zu der auch Antonius Abbas gehört. Im Rahmen des Sparprozesses beschloss man dort, die Schönebecker Kirche zu opfern.
Unter den Katholiken im Stadtteil trifft die Aktion offenkundig auf viel Zustimmung, wenn sie auch kaum mehr ist als ein letztes Aufbäumen. „Wir sind eine funktionierende Gemeinde, in Schönebeck leben viele Familien und engagierte Katholiken“, sagt Heike Irle, deren Kinder Messdiener sind und die seit langem der Antonius-Kirche auch als Gottesdienstbesucherin verbunden ist. Es gebe Kirchen- und Kinderchor, Pfadfinder- und Messdienergruppen, Kolpingfamilie und Ehrengarde. Und demnächst bereiten sich 64 Kinder auf die Erstkommunion vor, was heutzutage als hohe Zahl gilt.
Damit nicht genug: Zur Sonntagsmesse sei die Kirche voll, selbst samstags kämen 50 Gläubige zum Gottesdienst, andernorts seien es oft kaum fünf. „Dass das Bistum sparen muss, kann ich nachvollziehen, aber warum immer unten?“ Und warum ausgerechnet in einem bürgerlichen, traditionell katholischen Stadtteil, wo die Kirche noch erkennbar eine große Rolle spiele?
Gerade junge Gemeindemitglieder schätzten das aktive Gemeindeleben
Auch Pastor Brengelmann argumentiert mit dem lebendigen Gemeindeleben, erwähnt das hohe Spendenaufkommen, die Treue gerade der jungen Gemeindemitglieder und nennt als Zeichen der Verbundenheit auch die Menschenkette der katholischen Eichendorffschule, die das gefährdete Kirchengebäude symbolisch mit 400 Grundschülern umschloss.
Zudem sorgt sich der Geistliche um das Ortsbild und die bauliche Präsenz der katholischen Kirche. In seinem zweiten Gebot heißt es: „Du sollst deine Kirche nicht abreißen, du sollst sie nicht zerstören, wenn sie (...) das einzig sichtbare Kirchengebäude im ganzen Stadtteil ist.“ Schließlich sei Geld gar nicht das Problem, die Kirche besitze genug, es liege eh nur nutzlos auf den Konten. Mit der WAZ reden wollte Brengelmann nicht. Die Aktion spreche für sich.
„Ich hätte von ihm mehr Loyalität erwartet“, sagt sein vorgesetzter Pfarrer
Der Protest im Stil der zehn Gebote dürfte höheren Orts kaum Freude hervorrufen. Der Schönebecker Pastor hat seinen eigenwilligen Protest bereits an den Verwaltungschef des Bistums, Generalvikar Klaus Pfeffer, übermittelt. Bistumssprecher Ulrich Lota erklärte auf Anfrage, für Brengelmann gelte selbstverständlich die Meinungsfreiheit, allerdings sei es sehr ungewöhnlich für einen Priester, sich auf diese Weise zu äußern, „zumal ich davon ausgehe, dass er beim Pfarrentwicklungsprozess beteiligt war.“ Man verstehe zwar den vielerorts aufkeimenden Unmut wegen der drohenden Kirchenschließungen. Demokratische Entscheidungen seien aber nun mal zu akzeptieren.
So sieht es auch Wolfgang Haberla, Pfarrer der Großgemeinde St. Josef, der den Schrumpfungsprozess im Essener Nordwesten leitend moderierte. „Er ist mein Stellvertreter, da hätte ich von ihm etwas Loyalität erwartet“, so seine spontane Reaktion auf die ihm bis dato unbekannte Zehn-Gebote-Aktion. Kurz vor Weihnachten hat Haberla die Sparvorschläge an das Bistum geschickt – nach langen, schmerzhaften Diskussionen, wie sie in den letzten Jahren fast alle Gemeinden im Bistum Essen durchlitten. Diskussionen, in denen Pastor Brengelmann letztlich unterlag.
Von vier Kirchen in der Großgemeinde St. Josef bleiben zwei – bauliche Gründe seien entscheidend
Das Ergebnis der Abwägung im Essener Nordwesten, die noch vom Bistum zu bestätigen ist, sieht jedenfalls so aus: Von den vier Kirchen bleiben zwei erhalten, nämlich die Hauptkirche St. Josef in Frintrop und St. Franziskus in Bedingrade. Geschlossen und auf Sicht umgenutzt oder abgerissen werden zwei: die Pauluskirche in Gerschede und eben St. Antonius Abbas. Haberla nennt vor allem bauliche Gründe. Die beiden abgängigen Gebäude hätten den größeren Sanierungsbedarf, seien schlechter an den Nahverkehr angebunden. Für St. Josef gelte überdies Denkmalschutz, und es gebe dort auch das ausgeprägteste Gemeindeleben.
Da zumindest würde Brengelmann wohl leidenschaftlich widersprechen, und man ahnt, welche Kämpfe sich hinter verschlossenen Türen in vielen Gemeinden um die Schließungsfrage abgespielt haben mögen. Ulrich Lota, der die Entscheidung inhaltlich nicht bewerten will, räumt aus eigenem Erleben immerhin ein, dass die katholische Welt in Schönebeck tatsächlich ziemlich in Ordnung ist. Allein: „Wir müssen mit den Mitteln haushalten.“ Und als „pastoraler Ort“ bleibe ja aller Voraussicht nach das Gemeindehaus erhalten.
Ab 2020 wäre die Kirche nur noch provisorisch gesichert und unbetretbar
Wenn Bischof Franz-Josef Overbeck nicht noch anders entscheidet – was niemand erwartet –, wird die 1925 gebaute Schönebecker Dorfkirche im Jahr 2020 nur noch provisorisch gesichert und ist dann unbetretbar. Ein Abriss dürfte recht bald folgen. Zum Gottesdienst müssten die Schönebecker dann nach Bedingrade oder Frintrop.
Werden sie das tun? Pastor Brengelmann hat da im Nachwort seiner zehn Gebote Zweifel: „Reißt du deine Kirche dennoch ab, dann werden die lebendigen Steine, dann wird deine Gemeinde schneller in viele Richtungen verstreut sein, als du die toten Steine abtransportieren kannst.“