Essen. . Prostituierte der Stahlstraße in Essen hängen Protest-Flugblatt ins Fenster. Darin lehnen sie die seit Juli gesetzlich vorgeschriebene Meldepflicht ab.

Die Stahlstraße, Essens Rotlichtviertel nahe dem Limbecker Platz, gilt als eine der ältesten Bordellmeilen Deutschlands. Ein Ort, an dem Männer seit jeher für Geld Sex kaufen können: in 17 Häusern und bei mehr als 100 Frauen. Seit einem halben Jahr sind diese verpflichtet, sich beim Ordnungsamt den so genannten „Hurenausweis“ ausstellen zu lassen. Ein umstrittenes Dokument, das viele Frauen nervt und die Branche verunsichert. „Aufschrei“ ist ein Protest-Flugblatt überschrieben, das die meisten Frauen der Stahlstraße jetzt demonstrativ in ihre Fenster gehängt haben.

„Wir, die Prostituierten, wollen uns hiermit wehren und Hilfe suchen“, heißt es darin. Die Frauen selbst bezeichnen sich sarkastisch als „horizontale, ohnehin malträtierte, kleine Minderheit“.

Einer, der die Stimmung unter den Prostituierten wohl am besten einzuschätzen vermag, ist Hans-Joachim Rottermann. Dem 60-Jährigen gehörten neben dem Betrieb in der Stahlstraße auch Häuser in Dortmund, Bochum und Hagen. Ein Rotlicht-Imperium, mit dem er einst die Nummer eins in Nordrhein-Westfalen war, das er inzwischen aber innerhalb der Familie in andere Hände gelegt hat. Er sagt: „Die Frauen in der Stahlstraße und anderswo sind durch den Hurenausweis verunsichert, es herrscht ein Klima der Unruhe.“

Flugblatt: „Der größte Schutz einer Prostituierten ist ihre Anonymität“

Seit dem 1. Juli verpflichtet der Gesetzgeber Sexarbeiterinnen durch das Prostituiertenschutzgesetz, sich a) beim Ordnungsamt anzumelden und b) beim Gesundheitsamt beraten zu lassen. Dafür erhalten sie ein amtliches Dokument, im Branchenjargon „Hurenausweis“, der vom Format her einem Kraftfahrzeugschein ähnelt. Und den offenbar niemand gerne in der Handtasche oder im Portemonnaie haben möchte. „Viele Frauen befürchten, zum Beispiel beim Sicherheitscheck im Flughafen als Prostituierte bloßgestellt zu werden“, sagt Rottermann. Er wisse aus Erfahrung, dass viele Frauen heimlich im Rotlichtmilieu arbeiteten. „Man stelle sich nur vor, der Sohnemann fischt statt der EC-Karte aus Versehen den Ausweis aus Mamas Geldbörse und erfährt so, dass sie in Wirklichkeit eine Prostituierte ist.“ Im „Aufschrei“-Flugblatt steht: „Der größte Schutz einer Prostituierten ist ihre Anonymität.“

Ursprung als „Dirnenwohnheim“

Rottermann erinnert gerne an die beinahe idyllischen Ursprünge der Stahlstraße. Prostituierte, die einst auf den Straßen in der nördlichen Innenstadt potenzielle Freier ansprechen mussten und sich deshalb den Ärger der Ordnungsbehörden zuzogen, hätten in der Stahlstraße einen geschützten Bereich gefunden, in dem sie sogar wohnen können. Rein formal handele es sich in der Stahlstraße – in der Baugenehmigung steht noch das antiquierte Wort „Dirnenwohnheim“ – um eine gewerbliche Zimmervermietung: ohne Zuhälter und mit weitgehender sexueller Selbstbestimmung. Die Frauen mieteten ein Zimmer und zahlten dafür eine Tagesmiete, mehr nicht. „Was hier zwischen uns und den Frauen passiert, geschieht auf freiwilliger Basis“, betont Rottermann, und fügt hinzu: „Jede Frau kann von heute auf morgen aufhören und gehen.“

Der Geschäftsmann geht davon aus, dass in Essen 700 bis 800 „anschaffen“, die Behörden sprechen gar von 1000 Prostituierten. Nur etwa 130 arbeiten in der Stahlstraße, die anderen gehen auf den Straßenstrich oder bieten sich in Klubs und in der eigenen Wohnung, im Wohnwagen oder im Internet an. Oft in einer gefährlichen Grauzone. „Zur Prostitution reicht heute eigentlich ein Smartphone“, sagt Rottermann.

Branche befürchtet Abwanderung und Einnahmeverlust

Ordnungsdezernent Christian Kromberg ist entschlossen, das Gesetz durchzusetzen: „Wir bauen keinen Verfolgungsdruck auf, aber bei Menschenhandel, Zwangsprostitution und Prostitution in der Illegalität kennen wir kein Pardon.“ Zwei Sachbearbeiter seien dabei, sich in ihr neues Tätigkeitsfeld einzuarbeiten. „Wir werden versuchen, die gesamte Branche auszuleuchten“, sagt Kromberg.

Experten gehen davon aus, dass 60 Prozent der hierzulande tätigen Sexarbeiterinnen aus Rumänien und Bulgarien stammen und weitere 15 aus Lateinamerika. Höchstens 15 Prozent seien Einheimische.

Rottermann befürchtet, dass der verhasste Hurenausweis vor allen die ausländischen Sexarbeiterinnen aus der Stahlstraße vertreibe. „Im Dezember sind schon Frauen nach Spanien gezogen und im Januar wird’s weitere Auszüge geben.“ Ein Exodus, der schlimmstenfalls an die Substanz des Unternehmens gehe.

>>>AUS DEM PROSTITUIERTENSCHUTZGESETZ

§ 3 des Prostituiertenschutzgesetzes besagt: „Wer eine Tätigkeit als Prostituierte oder als Prostituierter ausüben will, hat dies vor Aufnahme der Tätigkeit persönlich bei der Behörde, in deren Zuständigkeitsbereich die Tätigkeit vorwiegend ausgeübt werden soll, anzumelden.“

In der Stahlstraße, so heißt es, seien 20 bis 25 Prozent der 130 Frauen registriert. In ganz Essen waren Mitte Dezember 58 Frauen und zwei Männer angemeldet.

§ 4 des Gesetzes erlegt auch Betreibern von Prostitutionsstätten umfangreiche Pflichten auf.