Essen. . Neues Prostituiertenschutzgesetz gilt in Essen für 800 bis 1000 Sex-Arbeiterinnen. Stadt muss für Anmeldung zusätzliches Personal bereitstellen.
- Vom neuen Prostituiertenschutzgesetz sind in Essen etwa 800 bis 1000 Sex-Arbeiterinnen betroffen
- Sie müssen sich bei der Stadt anmelden und sich beim Gesundheitsamt beraten lassen
- Die Stadt muss dafür neue Stellen schaffen, unterdessen wächst die Kritik an dem neuen Ausweis
In Essen sind grob geschätzt 800 bis 1000 Frauen als Sex-Arbeiterinnen tätig: in Bordellen und auf dem Straßenstrich, in Klubs und Massagestudios. Oder diskret in der eigenen Wohnung. Auch männliche Sex-Arbeiter fallen unters neue Prostituiertenschutzgesetz, das am 1. Juli in Kraft getreten ist. Sie müssen sich jetzt bei der Stadt anmelden.
Die zehn größten deutschen Gesundheitsämter, darunter auch Essen, hatten das neue Prostituiertenschutzgesetz vehement abgelehnt. Jetzt ist es in Kraft, aber zur Umsetzung in Essen gefragt, zuckt Gesundheitsamtsleiter Dr. Rainer Kundt die Achseln: „Nichts genaues wissen wir nicht.“
Ausweis mit Lichtbild, Anschrift und Klarnamen
Weil es eine Anmeldepflicht (beim Ordnungsamt) und eine verpflichtende Gesundheitsberatung (beim Gesundheitsamt) vorsieht, heißt das amtliche Dokument, das die Frauen demnächst bei sich haben sollen, im Szenejargon „Hurenpass“. Doch in Essen, so Kundt, würde aus einem einfachen Grund vorerst nichts passieren: „Die Vordrucke für die Bescheinigungen sind noch gar nicht eingetroffen.“ Die „Huren-Ausweise“ enthalten ein Lichtbild, die Meldeadresse und den Klarnamen.
Zweites Element des neuen „ProstSchG“, so die amtliche Abkürzung, ist die Erlaubnispflicht für den Betrieb eines Prostitutionsgewerbes und die Zuverlässigkeitsprüfung des Betreibers. Ein umfangreiches Feld, für das in Essen das Ordnungsdezernat zuständig ist. „Dafür müssen eigens zwei neue Stellen geschaffen werden“, sagt eine Stadtsprecherin.
Wer ein Bordell oder einen Sex-Klub betreibt, muss seit dem 1. Juli ein Polizeiliches Führungszeugnis, ein Betriebs- und ein Hygienekonzept vorlegen. Selbst Kritiker des Gesetzes räumen ein, dass eine strengere Kontrolle der Betriebe noch der sinnvollste Teil sei. Aber Branchenkenner sind davon überzeugt, dass die vorhandenen Gesetze ausgereicht hätten, um Frauen vor Menschenhandel und sexueller Ausbeutung zu schützen.
Nachtfalter-Expertin befürchtet, dass Frauen in die Illegalität abrutschen
Christine Noll von der Caritas-Einrichtung „Nachtfalter“ kümmert sich schon seit 26 Jahren um Prostituierte und ist von dem Gesetz wenig begeistert. „Ich befürchte, dass die Frauen jetzt erst recht in die Illegalität abrutschen und dann noch schwerer zu erreichen sind.“
In Essen kommen die meisten Prostituierten aus Balkanländern wie Rumänien, Bulgarien und Albanien, aber auch aus Polen, Südamerika und Afrika. Länder, in denen Behörden oft korrupt sind und schikanieren. „Die Frauen haben Angst vor Behörden und davor, dass die Ämter hier ihre Heimatländern informieren. Noll: „Die Frauen fürchten, dass sie zuhause stigmatisiert und von der eigenen Familie ausgegrenzt werden“, sagt Christine Noll.
Kritiker halten das Gesetz für ein Bürokratiemonster, das viel Geld und Personal verschlinge – zu Lasten niederschwelliger Beratungsstellen wie Nachfalter. Grotesk: Obwohl Nachtfalter von den Prostituierten geschätzt wird, ist das Projekt „Integration und Ausstiegshilfen für Sexarbeiterinnen mit Migrationshintergrund“ zum 30. Juni ausgelaufen. Das Geld fehlt.
Das Gesundheitsamt registriert in diesen Tagen zahlreiche Anrufe. Das Beratungstelefon für Prostitutierte ist in Essen unter den Rufnummern 0201/8853-410 und -411 erreichbar. Die Bescheinigung über eine Gesundheitsberatung werde in Zukunft nur nach vorheriger Terminabsprache erteilt. Für Frauen, die bereits in der Prostitution tätig sind, gilt eine Übergangszeit bis zum 1. Dezember 2017.