Hamburg. Sexarbeiterinnen protestieren gegen das geplante Prostituiertenschutzgesetz. Es sei nicht zum Schutz, sondern zur Kontrolle gedacht.
Aufruhr in den Rotlichtvierteln: In ihrem Domina-Studio im Hamburger Bahnhofsviertel St. Georg hat Undine de Rivière ein Arsenal an Fesseln, Peitschen und sogar ein Streckbett. Wie ein Arsenal von Folterwerkzeugen erscheint ihr auch das Prostituiertenschutzgesetz, das die große Koalition aus Union und SPD jetzt plant. „Das Gesetz ist ein Rieseninstrumentarium, um Sexarbeit zu verdrängen und die ganze Branche unter Kontrolle zu haben. Es ist kein Prostituiertenschutzgesetz, sondern ein Prostituiertenkontrollgesetz“, schimpft sie.
Ähnlich negativ äußern sich Hilfsorganisationen, Verbände, Beratungsstellen und Wissenschaftler, vom Bundesverband der Fachberatungsstellen über die Diakonie bis zur Aids-Hilfe. Ungeachtet dessen soll der Gesetzentwurf mit Anmelde-, Beratungs- und Kondompflicht Ende März ins Kabinett. Das lange geplante Gesetz soll Prostituierte in Deutschland besser schützen. Als extrem gilt vor allem die Lage von Frauen aus Osteuropa. Ab Mittwoch (2. März) berät ein „Sexarbeits-Kongress“ in Hamburg über die Pläne der Bundesregierung. Viel Beifall wird nicht erwartet.
Mehr als 70 Prozent der Sexarbeiterinnen sind Migrantinnen
Der Hamburger Kiez mit der Reeperbahn zählt zu den bekanntesten Rotlichtvierteln des Landes, dazu kommt das Bahnhofsviertel St. Georg. Im Viertel ist das „ragazza“ (ital. Freundin) zu Hause, hier arbeitet Gudrun Greb. Die Beratungsstelle für „drogenkonsumierende und sich prostituierende Frauen“ ist oft die einzige Anlaufstelle für die Frauen auf dem Straßenstrich. In kleinen Körben liegen verschiedene Kondome – „oral“ oder „vaginal/anal“. In zwei Bücher schreiben die Prostituierten Warnungen vor aggressiven Freiern auf.
„Prostitution ist für die Behörden dann ein Problem, wenn es um die Sichtbarkeit geht, also vor allem die Frauen auf der Straße“, sagt Greb. „Darum sind die Frauen auch die Zielgruppe des Gesetzes. Mehr als 70 Prozent der Sexarbeiterinnen sind Migrantinnen.“
Und St. Georg ist eigentlich Sperrbezirk. Dennoch: „Auf dem Straßenstrich in St. Georg stehen Frauen sieben Tage die Woche, manchmal bis zu 20 Stunden am Tag, bis sie etwas verdient haben“, sagt Greb. „Und es gibt Frauen, die sich einmal im Monat hier hinstellen, weil ihr Hartz IV nicht reicht, die Waschmaschine kaputtgegangen ist. Manche stehen hier nur in den Sommerferien, die kommen aus anderen Ländern und verdienen sich so ihr Studium.“
Vertrauensverhältnis zu den Prostituierten gefährdet
Manche Vorschläge aus der Politik machen Greb sprachlos. Mit den geplanten Pflichten wie Anmeldung und Beratung werde das jahrelang mühsam aufgebaute Vertrauensverhältnis zu den Prostituierten gefährdet. „Warum glaubt man denn, dass Einrichtungen wie das „ragazza", die viele, viele Stunden auf dem Straßenstrich unterwegs sind, dass die die Situation schlechter einschätzen können?“
Auch Undine de Rivière, „Bizarr-Lady“ und Sprecherin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen, ist empört. „In Österreich gibt es diese Meldepflicht schon. In den letzten Jahren waren alle Opfer des Menschenhandels ordnungsgemäß registriert.“ Der Nachweis der Anmeldung als Prostituierte gefährde das Inkognito: „Ein Hurenausweis wäre eine Katastrophe, wenn ich den immer in der Tasche tragen muss.“ Das erinnere an den „Bockschein“, den es früher gab.
Die Kondompflicht werde nicht viel bringen, ist sich de Riviére sicher. „Sie ist nicht unter menschenwürdigen Bedingungen überprüfbar.“ Und außerdem überflüssig, weil die Verbreitung von Geschlechtskrankheiten unter Prostituierten nicht höher sei, als im Rest der Bevölkerung. „Im Schnitt arbeiten wir gesünder und sicherer als jemand, der sich am Wochenende betrunken durch die Discos vögelt und dabei die Kondome vergisst.“
Zwangsberatung wird abgelehnt
Zu einem ganz anderen Segment der Branche gehört Josefa Nereus. Die 29-Jährige sagt selbstbewusst: „Ich bin Prostituierte, aber ich muss nicht geschützt werden.“ Die Frau mit dem Künstlernamen ist Escort-Dame, arbeitet also eher im hochpreisigen Segment. Das Gesetz werde den Prostituierten, die fremdbestimmt oder aus blanker Not anschafften, nicht helfen. „Im Gegenteil: Sie werden noch mehr ins Abseits gedrängt.“
Auch die Zwangsberatung lehnt Nereus ab. Viele Prostituierte würden sich ohnehin mehrmals im Jahr anonym auf Geschlechtskrankheiten testen lassen. „Mein Körper ist mein Kapital. Wenn ich ausfalle, habe ich kein Einkommen.“ Zudem könne sie dort sicher sein, dass ihre Daten nicht in falsche Hände geraten. „Wenn man den Menschen helfen will, dann sollte man sie nicht stigmatisieren.“
Einige der Prostituierten, die ihre Dienste in Kleinanzeigen anbieten, sehen das neue Gesetz eher entspannt. Die 45-jährige Rosi sagt: „Anmelden ist ok. Die Behörde weiß das doch, denn ich zahl' ja ordentlich Steuern.“ Auch die „Hanseatin“ Sonja will sich darüber nicht aufregen. Sie kennt die Anmeldepflicht aus Österreich. Gut sei zudem die Kondompflicht, auch wenn die niemand kontrollieren könne.
Wenn das Gesetz in den bisher bekannten Grundzügen in Kraft treten sollte, dürfte es auf Widerstand im Milieu stoßen. Undine de Rivière kündigt an: „Ich werde mich aus Prinzip nicht anmelden. Und ich werde definitiv rechtliche Schritte einleiten.“ Josefa Nereus will das Gesetz gleich ganz boykottieren. (dpa)