Essen. . Inzwischen gelten 1870 Frauen und Männer in Essen als wohnungslos. Caritas und Diakonie warnen vor einer zunehmend schwierigeren Situation.

Für wohnungs- und obdachlose Menschen in Essen wird es immer schwieriger, eine Wohnung zu finden. Nach Angaben von Diakonie und Caritas gelten inzwischen 1870 Frauen und Männer in Essen als wohnungslos. Das ist gegenüber dem Vorjahr ein Anstieg von zehn Prozent.

Stephan Knorr, der für die Caritas gemeinsam mit seiner Diakonie-Kollegin Petra Fuhrmann das Beratungszentrum an der Maxstraße leitet, warnt vor einer dramatischen Entwicklung: „Wir hatten schon immer leicht steigende Zahlen, aber die Entwicklung in 2017 hat uns an die Grenzen geführt.“

Angespannter Wohnungsmarkt

Stephan Knorr von der Beratungsstelle für Wohnungslose an der Maxstraße in Essen.
Stephan Knorr von der Beratungsstelle für Wohnungslose an der Maxstraße in Essen. © STEFAN AREND

Die Situation sei nicht mit fehlenden Hilfsangeboten der Stadt zu erklären, sondern vor allem mit einem zunehmend angespannten Wohnungsmarkt in der Ruhrmetropole, der im unteren Preissegment kaum noch Angebote biete. „Da ist der Markt nahezu leergefegt, das ist inzwischen in allen Städten im Ruhrgebiet zu spüren. Alle haben deshalb mit steigenden Zahlen zu kämpfen“, sagte Knorr bei der Weihnachtsfeier der Beratungsstelle für wohnungslose Menschen von Caritas und Diakonie im Studentenzentrum „Die Brücke“ an Heiligabend, an der 200 Menschen teilnahmen.

Auch Oberbürgermeister Thomas Kufen, der wie in den Vorjahren die Feier besuchte, betonte, dass sich die Stadt hier engagiere und versuche, zu helfen: „Wir sind für sie da, nicht nur an Weihnachten, sondern an allen Tagen des Jahres. Wir lassen niemanden im Stich.“

Die Situation auf dem Wohnungsmarkt sei aber sehr schwierig geworden, erklärte Kufen im Gespräch mit dieser Zeitung. Die städtische Allbau verfüge nahezu über keinen Leerstand mehr. Die Stadt könne nur an die Vermieter appellieren, wohnungslosen Menschen eine Chance zu geben. Eine Quote für den Bau von Sozialwohnungen lehnt der OB ab: „Das würde uns an dieser Stelle nicht helfen, weil nahezu jeder zweite Essener Bürger Anspruch auf eine Sozialwohnung hat.“

Dringender Handlungsbedarf

Dennoch besteht nach den Worten von Caritas und Diakonie dringender Handlungsbedarf: Weit über die Hälfte der Menschen, die an der Maxstraße die Beratung, die Suppenküche oder die Kleiderkammer aufsuchen, stehen seit mehr als einem Jahr auf der Straße: „Je länger dies der Fall ist, desto schwieriger wird anschließend wieder die Integration.“

Deshalb sei die Betreuung auch deutlich aufwändiger geworden, „wir kommen sicher auf 35.000 Kontakte im Jahr.“ Mehr sei mit den sechs Sozialarbeitern einfach nicht zu stemmen: „Hier muss dringend nachgesteuert werden“, warb Knorr um eine Aufstockung. „Wir müssten uns viel intensiver um die Menschen kümmern.“ Die personelle Situation verschärfe die Lage weiter: „Wir lagen vor ein paar Jahren noch bei 1100 wohnungslosen Frauen und Männern in der Betreuung. Das hat sich deutlich verändert.“

Spürbar wird das Problem auch bei den Postfächern für Menschen ohne Wohnung. Hier sind es bereits über 600 Essener, die die Beratungsstelle an der Maxstraße immer länger als postalische Adresse führen, um Hartz IV zu beziehen, ein Bankkonto zu eröffnen, oder ihrem Arbeitgeber eine Adresse anbieten zu können.

Längst nicht alle wohnungslosen Menschen leben nur von Transferleistungen. Die Situation auf dem Wohnungsmarkt macht allerdings auch sie zunehmend zu Verlierern. „Wenn da ein Student steht, mit einer Elternbürgschaft, ein syrischer Flüchtling ohne Schufa-Eintrag (Schutzgemeinschaft für Kreditsicherung, d. Red.) und dann einer von unseren Frauen oder Männer, vielleicht mit mehreren Schufa-Einträgen, oder gerade erst aus der Haft entlassen, dann steht schon fest, in welcher Reihenfolge die Wohnung vergeben wird“, sagt Stephan Knorr: „Vermieter sind nicht mehr bereit, auf persönliche Probleme von Mietern Rücksicht zu nehmen.“

Suchtprobleme treten wieder hervor

Der Caritas-Mann kennt diese Geschichten zur Genüge: Kaum sind die Menschen in der Wohnung, verzichten sie auf die Betreuung durch die Sozialen Dienste. Viele seien dann doch mit dem selbstständigen Leben überfordert, Suchtprobleme würden wieder hervortreten.

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Was folgt, ist die erneute Zwangsräumung. Denn bleibe die Miete aus, werde sofort gekündigt: „Früher haben Vermieter da schon mal ein Auge zugedrückt und sich gesagt, lieber eine unregelmäßige Miete als eine leerstehende Wohnung. Das hat heute kein Vermieter mehr nötig.“

Denn während es vor drei Jahren noch einen signifikanten Leerstand bei einfachen Wohnungen gab, beispielsweise an der Altendorfer oder Gladbecker Straße, sei der heute verschwunden: „Da ist für unser Klientel nichts zu machen.“

Notübernachtungsstelle ist gut frequentiert

So verwundert es kaum, dass die Notübernachtungsstelle an der Lichtstraße gut frequentiert wird und dieses Jahr wohl wieder auf über 15.000 Übernachtungen kommen wird.

Die Lichtstraße ist die letzte Anlaufstelle, dies gilt vor allem für Alleinstehende, während Familien mit Kindern sofort einen Platz in der Notunterkunft an der Liebrechtstraße erhalten: „Uns ist jedenfalls kein einziger Fall einer Familie bekannt, die auf der Straße steht“, sagt Knorr.