Essen. . 1700 Obdachlose kamen 2016 zur Essener Beratungsstelle für Wohnungslose. Die bewegenden Geschichten der Menschen sind unterschiedlich.

Ein ganz normaler Vormittag in der Beratungsstelle für Wohnungslose an der Maxstraße: Fast alle Tische in dem schmucklosen Aufenthaltsraum sind besetzt. Die meisten Obdachlosen sind für eine Tasse Kaffee und ein Mittagessen vorbeigekommen.

Zudem können sie hier kostenlos duschen, ihre Wäsche waschen, ihre Habseligkeiten abstellen oder ihre Post abholen.

Erst arbeitslos, dann wohnungslos

Manche verbringen in der Beratungsstelle, die gemeinsam von Caritas und Diakonie betrieben wird, ihren ganzen Tag bis zur Öffnung der Notschlafstelle. Sie tun das, um eben nicht auf der Straße zu sein. So wie der 58-jährige Axel. Arbeitslos ist er bereits länger, wohnungslos erst seit ein paar Monaten. „Ich konnte meine Miete nicht mehr zahlen und wurde rausgeschmissen“, erzählt er freimütig.

Da er weder einen Freundeskreis noch Familie hat, die ihn auffangen konnte, lebt der gelernte Lagerarbeiter seitdem auf der Straße. Doch die nächste Wohnung sei schon in Aussicht, „eine Wohngemeinschaft mit einem ehemaligen Obdachlosen den ich hier kennengelernt habe“, sagt er.

Axels Geschichte ist eigentlich kein typisches Beispiel für die 80 bis 100 Obdachlosen, die täglich in die Maxstraße kommen. Die meisten von ihnen leben seit vielen Jahren auf der Straße. „Je kürzer die Wohnungslosigkeit, desto größer ist die Chance, wieder im normalen Leben Fuß zu fassen“, weiß Petra Fuhrmann, Leiterin der Wohnungslosenhilfe.

Viele Obdachlose kommen aus Osteuropa

Seit Anfang der 1980er Jahre betreut die 57-jährige Sozialpädagogin obdachlose Männer und Frauen. Sie tut das mit Respekt und Empathie, ohne dabei den klaren Blick für die Realität zu verlieren.

Jeden Tag kommt Axel in die Beratungsstelle. Der 58-Jährige ist seit einem halben Jahr obdachlos und hat wieder eine Wohnung in Aussicht.
Jeden Tag kommt Axel in die Beratungsstelle. Der 58-Jährige ist seit einem halben Jahr obdachlos und hat wieder eine Wohnung in Aussicht. © Socrates Tassos

Real ist, dass sich die Obdachlosenzahlen in den vergangenen Jahrzehnten drastisch erhöht haben – Ursache dafür sind u.a. hohe Mieten und die Verarmung unterer Einkommensgruppen. Nach der EU-Erweiterung stranden auch immer mehr mittellose Osteuropäer in der Stadt, die keinen Anspruch auf Hartz IV haben.

Real ist auch, dass die Aggressivität und die Gewalt gegenüber den insgesamt sechs Mitarbeitern zugenommen haben. Notfallknöpfe unter den Schreibtischen sollen schnell Hilfe holen, wenn es mal wieder gefährlich wird.

1700 Obdachlose suchen Beratungsstelle auf

1700 Menschen haben im vergangenen Jahr die Beratungsstelle aufgesucht, in diesem Jahr werden es noch mehr sein. Es sind Gescheiterte, die durch Scheidung, Verlust der Arbeit, durch psychische Erkrankung oder Alkohol- und Drogensucht ihre Wohnung, ihre Familie und damit ihren Halt verloren haben. Darunter Ärzte wie Hilfsarbeiter, Lehrer und Angestellte. „Keiner lebt freiwillig auf der Straße. Und die wenigsten tragen daran eine aktive Schuld“, räumt Petra Fuhrmann mit manchen Vorurteilen auf.

Und erzählt das Beispiel einer Folkwang-Musiklehrerin, die mit Ende Fünfzig durch eine massive Psychose und Angststörung alles verlor. „Selbst ihre Schwester konnte ihr nicht mehr helfen.“ Erst eine Zwangseinweisung in die Psychiatrie und eine konstante medikamentöse Behandlung haben sie stabilisiert. Inzwischen lebt sie wieder in einer eigenen Wohnung, wird aber betreut.

Mit den Drogen fing alles an

Für die, die es nicht geschafft haben, ist die Maxstraße ein Schutzraum mit fast familiärem Charakter ist. So empfindet das die 39-jährige Nicole. Ihr Lebenslauf ist typisch für obdachlose Frauen: Seit ihrem 17. Lebensjahr ist Nicole drogenabhängig, seit 15 Jahren ohne festen Wohnsitz. Ihre Sucht finanziert sie durch Prostitution. Alle Versuche, von den Drogen langfristig loszukommen, sind bislang gescheitert. „Für mich ist die Beratung mit die wichtigste Anlaufstelle. Hier gibt es alles, was ich brauche“, sagt sie.

Das beinhaltet nicht nur einen warmen Platz, eine warme Mahlzeit und saubere Kleidung. „Wir helfen bei allen Ämtergängen.“ Zudem können Wohnungslose die Adresse in der Maxstraße angeben, um zum Beispiel einen Personalausweis zu erhalten und ein Konto zu eröffnen. Wichtig ist auch die gesundheitliche Betreuung – darunter fällt vor allem die Vermittlung von Suchttherapie und Psychotherapie. Für alles andere steht das Arztmobil täglich vor der Tür; dort behandelt Ursula Schürks die Menschen auch ohne Krankenkassenkarte. „Es ist eine sinnvolle Tätigkeit, die mir große Freude macht“, sagt sie.

So empfindet auch Petra Fuhrmann. Mit großer Anstrengung und Engagement gelingt es ihr und dem Team immer wieder, Obdachlose von der Straße zu holen. Im vergangenen Jahr waren es 300, die wieder Boden unter den Füßen bekamen.