Essen. . Arbeiterwohlfahrt dringt auf mehr sozialen Wohnungsbau in Essen und will beim Umbau einer alten Schule in Steele mit gutem Beispiel vorangehen.
Wer derzeit der Geschäftsstelle der Arbeiterwohlfahrt (Awo) einen Besuch abstattet, bahnt sich im Eingangsbereich einen Weg durch Stapel versandfertiger Drucksachen: Das Jahresprogramm für 2018 soll bald in den Briefkästen der rund 6500 Mitglieder liegen. Eine gute Gelegenheit für die Führungsetage des Wohlfahrtsverbands, Bilanz zu ziehen und Handlungsfelder für das kommende Jahr zu erschließen – denn einige soziale Fragestellungen, die in Berlin für intensive Diskussionen bei der Regierungsbildung sorgen, brennen den Essener Verantwortlichen ganz besonders unter den Nägeln. Oder wie Klaus Johannknecht, Awo-Kreisverbandsvorsitzender, es ausdrückt: „Was auf 638 Seiten Armutsbericht zu lesen ist, erleben wir hier tagtäglich in der Realität.“
Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Rund 16 000 Sozialwohnungen fehlen laut Awo-Geschäftsführer Oliver Kern in unserer Stadt. Und das, obwohl durchaus Bauflächen zur Verfügung stünden. Wie in Rüttenscheid, wo durch den Abriss eines Baustoffmarkts eine große Freifläche entstand – der Stadtrat winkte vergangenen Mittwoch für die Bebauung einen Sozialwohnungs-Anteil von nur 12,5 Prozent durch. Für Oliver Kern ein Ärgernis, dennoch räumt er ein: „Oft ist die Situation bei solchen Freiflächen nicht einfach, beispielsweise kann man privaten Grundstückseigentümern ja nicht aufzwingen, Sozialwohnungen zu bauen.“ Von der Stadt wünscht sich Kern indes „mehr Anstrengungen“.
Interesse an Pflegeberufen sinkt
Den sozialen Wohnungsbau, auch im begehrten Essener Süden, könne man potenziellen Investoren durch Fördergelder schmackhaft machen. Doch auch von eigenständigen Baumaßnahmen spricht die Awo derzeit – ein Schritt, der ein völliges Novum darstellen würde. Konkret geht es zunächst um das alte Schulgebäude am Äbtissinsteig in Steele. „Hier würden wir gerne aus eigenen Mitteln in Sozialwohnungen investieren, die Vorplanungen und Gespräche mit der Stadt laufen“, berichtet Awo-Sprecher Peter Marnitz. Für eine Prognose sei es allerdings noch zu früh: „Es gibt noch viele Unwägbarkeiten.“
Kundgebung vor Reichstagsgebäude
Der Awo-Kreisverband hat eine Broschüre entworfen, um auf sozialpolitische Forderungen aufmerksam zu machen. Das Heft mit dem Titel „Wir machen Druck“ soll an alle anderen Kreisverbände und an den Bundesvorstand verschickt werden.
Ziel ist eine gemeinsame Kundgebung vor dem Reichstagsgebäude in 2018.
Der Essener Awo-Verband ist der größte deutschlandweit und beschäftigt rund 1500 hauptamtliche Mitarbeiter.
Der soziale Wohnungsbau ist jedoch nicht das einzige Problemfeld, an dem die Awo intensiv arbeitet. So ist es nicht zuletzt der dürftige Pflegeschlüssel, der auch vor den sechs Seniorenzentren in Trägerschaft der Awo nicht Halt macht. „Das Pflegegrad-System führt unweigerlich langfristig zum Stellenabbau und zu einer noch prekäreren Lage“, prognostiziert Oliver Kern, der zudem über weiter schwindendes Interesse an Pflegeberufen klagt. Jüngste Bemühungen in unserer Stadt, Flüchtlinge für Ausbildungen in diesem Berufsfeld zu gewinnen, nennt Kern indes eine „Witznummer“. Der Personalmangel lasse sich hierdurch nicht ansatzweise decken, zudem seien solche Überlegungen nicht zukunftsfähig. „Wir wollen Geflüchteten die freie Wahl lassen, welche Berufe sie ergreifen. Auch in Zukunft werden alle unsere Angebote auf Freiwilligkeit beruhen. Wir sind ja nicht die Wohlfahrtsmafia.“
Schönreden lässt es sich nicht – der Druck auf den Kreisverband steigt ideell und finanziell. Dass allein städtische Mittel nicht ausreichen, liegt auf der Hand. Die Verantwortlichen hoffen daher auf den großen sozialpolitischen Wandel in Berlin. „Nur nicht noch eine Groko, das wäre grober Mist“, bekennt Oliver Kern.